Der Designer – Rettet er die Welt?

NICOLE GUTSCHALK • 07.09.2018

Dass wir weltweit Ressourcen im grossen Stil verschwenden, ist uns allen bewusst – und das Thema Nachhaltigkeit mittlerweile ganz oben auf der Agenda angekommen. Designer und Hersteller sind deshalb aufgefordert, Lösungen zu suchen, die nachhaltig sind und im Sinne einer Kreislaufwirtschaft funktionieren. Wie weit ist die Industrie aber tatsächlich schon vorangeschritten? – Eine Bestandaufnahme.

Es nervt: Gerade erst vor ein paar Wochen gekauft, gibt der neu erstandene Pürierstab schon wieder seinen Geist auf. Eigentlich würde man ihn gerne reparieren lassen, anstatt ihn wegzuwerfen. Doch die Möglichkeiten, einen bezahlbaren Reparaturservice zu finden, sind beschränkt. Und mehr für die Reparatur zu bezahlen, als der Pürierstab gekostet hat, macht keinen Sinn. Also landet er auf dem Müll – zusammen mit 40 Tonnen Elektroschrott aus unseren Haushalten weltweit wie Computer, Fernseher, Mobiltelefone und Waschmaschinen.

Es lässt sich nicht leugnen: Wir leben im Zeitalter des Konsums. In einer Zeit, in der Konsum die Art und Weise bestimmt, wie wir leben, und der letztlich den Nährboden für unser Wirtschaftssystem bildet. Gleichzeitig sehen wir, wie sich die Auswirkungen dessen, was wir tagtäglich konsumieren, als katastrophales Szenario vor unseren Augen ausbreiten. Jeweils samstags bei der Müllentsorgungsdeponie etwa. Wenn Tische, Regale, Stühle und Lampen aus den Kofferräumen der schier endlosen Warteschlange an Autos gehievt werden, weil sie defekt oder aus der Mode geraten sind.  Oder, wenn wir auf unseren Kanälen in den sozialen Medien schwimmenden Plastikteppichen zuschauen, wie sie unkontrolliert durchs Meer treiben und mittlerweile die Dimension von Inseln angenommen haben. Und nicht zuletzt auch dann, wenn wir uns –wie diesen Sommer –bei subtropischen Verhältnissen Schweiss überströmt durch die Strassen unserer mitteleuropäischen Heimat schleppen, wie wir es sonst nur aus den Ferien im Süden kennen.

«Wir müssen umdenken!», oder «Warum handeln wir nicht endlich?» titelten Tageszeitungen und Magazine in den vergangenen Wochen reihum. Das sollte mittlerweile allen klar sein. Doch wer ist eigentlich dieses «Wir»? Wir Konsumenten? Bestimmt.

«Wir müssen umdenken!», oder «Warum handeln wir nicht endlich?» titelten Tageszeitungen und Magazine in den vergangenen Wochen reihum. Das sollte mittlerweile allen klar sein. Doch wer ist eigentlich dieses «Wir»? Wir Konsumenten? Bestimmt. Schliesslich können wir in unserem Alltag einiges bewirken, wenn es darum geht, Ressourcen zu schonen und ökologisch zu leben. Aufs Fliegen verzichten etwa und dafür mit dem Zug in die Ferien reisen. Aber wird das reichen? Kaum. Wir Politiker also? Keine Frage. Manchmal auch in Form von Verboten, wie es vor ein paar Wochen Präsident Macron vorgemacht hat, als er entschieden hat, dass bis 2020 alles Plastikgeschirr aus Frankreich verschwunden sein muss. Aber letztlich stehen eben auch die Hersteller von Konsumgütern aller Art in der Verantwortung. Und mit ihnen die Designer, von denen die Produkte für die Endkonsumenten erschaffen werden. Designer, deren oberstes Ziel es heutzutage sein müsste, Produkte so zu entwerfen und zu fertigen, dass sie so lange wie möglich genutzt, einfach repariert und am Ende ihrer möglichst langen Lebensdauer recycelt oder zumindest möglichst effektiv entsorgt werden können. Ein Denkansatz, der dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft zugrunde liegt, wie ihn auch Giulia Bernardi in ihrem Artikel «Chancen und Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft» beschrieben hat. Eine Firma handelt dementsprechend im Sinne einer Kreislaufwirtschaft, wenn sie ihre Produkte so konzipiert, dass diese aus gebrauchten Rohstoffen hergestellt und am Ende der Nutzung wiederum recycelt werden können. Die eingesetzten Rohstoffe können auf diese Weise praktisch unbegrenzt wiederverwertet werden – gemäss dem Vorbild des natürlichen Stoffkreislaufes. Eine Win-Win-Situation – für die Hersteller und für den Endverbraucher.

Schaut man sich jedoch auf dem internationalen Markt um – gerade auch in der Möbelbranche -,stellt sich leider ziemlich schnell Ernüchterung ein. Es scheint beinahe so, als wäre das Thema Recycling immer noch ein Nischenthema, dem sich nur Einzelne widmen mögen. Aber immerhin tut sich etwas – hier unsere Favoriten:

Desso
Die niederländische Firma Desso– die auch eine Zweigstelle in der Schweiz betreibt – stellt Teppiche für Flugzeuge, Schiffe, Grossraumbüros, Banken und Hotels her. Diese Teppiche werden vollständig aus recyceltem Materialien gefertigt – nach dem Prinzip von «Cradle to Cradle». Zudem setzt der Teppichhersteller auf die Strategie der Vermietung. Das heisst also: Ist ein Teppich abgenutzt, wird er zu Desso zurückgebracht, um dort recycelt und neu aufgearbeitet zu werden. Damit entsteht eine Win-Win-Situation auf beiden Seiten: Der Kunde bekommt einen neuen Teppich, ohne neue Ressourcen zu beanspruchen und die Firma selbst bleibt – gerade was den schwankenden Rohstoffpreis betrifft – unabhängig.

Pentatonic
Mal sind es Glasscheiben von alten Smartphones, mal Alu-Dosen, ein anderes Mal Plastikflaschen und manchmal sogar Zigarettenkippen, aus denen das in London ansässige Designstudio Pentatonic neue Materialien schafft und damit Möbel herstellt. Aus der grössten menschlichen Ressource überhaupt –aus Müll –entstehen also neue Produkte. Gegründet wurde das Unternehmen vom ehemaligen Marketingleiter von Levi‘s UK, Jamie Hall und dem in Deutschland geborenen Vermarkter Johann Bödecker. Grosszügige finanzielle Unterstützung für ihre Möbel- und Accessoire-Kollektionen erhält Pentatonic vom taiwanesischen Multiunternehmen und Online-Händler Miniwiz, einer Firma, die sich vollumfänglich der Kreislaufwirtschaft verschrieben hat.

Das Opendesk Circular Project
Vor allem aus Abfällen der Möbelindustrie, insbesondere von Holzmöbeln, produziert Opendesk Möbel für den flexiblen Arbeitsbereich. Als digitale Datei verschickt, werden die Möbel-Vorlagen von Opendesk an lokale Schreinereien auf der ganzen Welt geliefert und mit digitalen Schneidemaschinen (CNC-Fräsmaschinen) ausgeschnitten. Im Gegensatz zu herkömmlichen Herstellern besitzt Opendesk keine Produktionsmittel – produziert also Möbel, ohne eine Fabrik zu besitzen, indem ein weltweites Netzwerk unabhängiger Hersteller geschaffen wurde.

Ecobirdy
Mit dem übergeordneten Ziel, Kinder in die Kreislaufwirtschaft einzuführen, stellt die in Antwerpen ansässige Marke Ecobirdy Kindermöbel her, die komplett aus recyceltem Plastikspielzeug hergestellt werden und wiederum vollständig recycelbar sind. Die Kollektion umfasst einen Stuhl namens Charlie, einen Tisch mit Namen Luisa sowie den volgelförmigen Vorratsbehälter Kiwi und eine nashornförmige Lampe. Mit den Kreationen von Ecobirdy soll bei den Kindern ein Gefühl für Nachhaltigkeit geschaffen werden. Denn nach wie vor wird 90 % des Kinderspielzeugs weltweit aus Plastik hergestellt und landet nach einem durchschnittlichen Gebrauch von sechs Monaten in Müllverbrennungsanlagen, Deponien oder im Meer.

Interview mit Leif Huff

«Das gehört mitunter ja auch zur Ausbildung eines Designers dazu – und sollte zudem auch seiner ethischen Grundhaltung entsprechen.»

Life at Home: Warum scheinen so viele Designer Mühe damit zu haben, ein Produkt so zu entwerfen, dass es möglichst lange genutzt, einfach repariert und recycelt werden kann?

Leif Huff: Ich glaube nicht, dass Designer grundsätzlich ein Problem damit haben, Produkte zu entwerfen, die längerfristig nutzbar sind. Im Gegenteil. Das gehört mitunter ja auch zur Ausbildung eines Designers dazu – und sollte zudem auch seiner ethischen Grundhaltung entsprechen. Es kann also nicht der Wunsch eines Designers sein, Dinge zu entwerfen, die eine möglichst kurze Lebensdauer haben.

LAF: Dennoch: Es gibt Studien, die besagen, dass 80 % der Produkte, die von Designern heutzutage für Konsumenten entworfen werden, in weniger als 6 Monaten weggeworfen werfen. Klingt doch absurd?

LH: Vollkommen. Das liegt aber letztlich nicht in der Absicht eines Designers. Denn in den meisten Fällen erhält dieser ein Briefing von einem Hersteller oder Auftraggeber, in dem schon ziemlich genau festlegt ist, wie ein Produkt auszusehen hat. Und meist sind diese Produkte nicht für eine besonders lange Lebensdauer angedacht. Zudem sind auch die Materialtechniken in der Regel bereits strikt vorgegeben. Dennoch sollten Designer immer versuchen, Einfluss zu nehmen.

LAF: Wie kann das gelingen?

LH: Indem sie Fragen stellen. Nehmen wir als Beispiel ein Produkt aus der Beautyindustrie, sagen wir einen Lippenstift. Da kann sich ein Designer etwa fragen, ob es tatsächlich nötig ist, die Kunststoffhülle eines Lippenstifts zu verchromen, um das Produkt gemäss Briefing hochwertiger erscheinen zu lassen. Oder ob es vielleicht ein anderes gestalterisches Mittel gibt, das den gleichen Effekt erzielen würde, aber schonend – im Sinne von Ressourcen schonend – hergestellt wird.

LAF: Bekommt ein Designer in der Realität aber tatsächlich die Chance, solche Fragen zu stellen?

LH: Wahrscheinlich zu selten. Aber trotzdem: Man muss es versuchen. Für uns bei IDEO ist es ein Ziel, immer wieder solche Fragen auf den Tisch zu bekommen. Was zum Glück oft gelingt. Das liegt mitunter daran, dass wir mit den meisten Auftraggebern schon seit langen Jahren zusammenarbeiten. Das ist sicher ein Vorteil. Aber ja, es entspricht wohl leider einer Tatsache, dass Designer in der Realität zu wenig auf Resonanz stossen. Auch deshalb, weil die Herstellungstechnologien in den meisten Fällen zu stark vorgegeben sind. Gerade im Konsummittel-, aber auch im Technologiebereich. Denn Elektronikgeräte sind ja auf dem Prinzip der ständigen Erneuerung und Weiterentwicklung aufgebaut und dementsprechend von Beginn weg nicht für ein langes Leben konzipiert – das liegt quasi in der Natur der Sache.

Leif Huff
Leiter der Design-und Beratungsfirma IDEO in München

«Einerseits muss der Konsument auf seine hohen Ansprüche verzichten – gerade was die Materialqualität betrifft, und andererseits sollten die Hersteller offener mit neuen Herstellungstechnologien umgehen und sich nicht davor scheuen, neue Materialien anzuwenden.»

LAH: Was viele Konsumenten unglaublich nervt. Denn sie haben letztlich nicht darum gebeten, dass ein elektronisches Gadget schon nach ein paar Monaten bereits veraltet sein soll.

LH: In diesem Punkt darf sich die Verbraucherseite nicht zu einfach aus der Affäre stehlen. Denn die stete Forderung nach dem hochwertigsten, neusten, schnellsten Gerät ist klar gegeben. Das erkennt man auch daran, dass viele ihr defektes Produkt gar nicht erst in die Reparatur bringen. Selbst dann nicht, wenn sie nur den Akku oder ein kaputtes Display austauschen müssten, landet das Gerät meist im Müll und man kauft sich ein neues. Es besteht also eine Gegenseitigkeit: Einerseits muss der Konsument auf seine hohen Ansprüche verzichten – gerade was die Materialqualität betrifft, und andererseits sollten die Hersteller offener mit neuen Herstellungstechnologien umgehen und sich nicht davor scheuen, neue Materialien anzuwenden. Beide Seiten muss man sich also weiterhin beharrlich Fragen stellen, wenn wir künftig einen Weg aus der Linearwirtschaft finden wollen. Das ist mit Sicherheit eine Herausforderung – aber eine äusserst schöne und spannende zugleich.

LAH: Bei dieser Herausforderung setzt Ihre Design- und Beratungsfirma IDEO an, die gemeinsam mit der Ellen MacArthur Foundation den Circular Design Guide erstellt hat. Einen Leitfaden, dessen übergeordnetes Ziel es sein soll, Unternehmen zu ermutigen, auf den Zug der Kreislaufwirtschaft aufzuspringen. Welche «Früchte»hat dieses Engagement bislang getragen?

LH: Das Thema Kreislaufwirtschaft ist für uns alle neu. Wir gestalten momentan also gerade etwas von Grund auf Neues. Die Pionierin auf diesem Gebiet, die Ellen MacArthur Foundation, versucht in einem ersten Schritt vor allem, die verschiedenen Akteure zusammen zu bringen: also den gestalterischen Bereich, die Consulter, Berater, Investoren sowie auch Hersteller. Sie alle sollen an einem Tisch Platz nehmen- was ganz grundsätzlich schon mal eine gute Ausgangslage darstellt. Denn viele Firmen, das merken wir zumindest im Austausch mit unseren Auftraggebern, stellen sich bereits seit längerem die Frage, wie sie einen Weg aus diesem «Produzieren-Konsumieren-Wegwerfen-Ding» – also aus der Linearwirtschaft – finden sollen. Dass wir aufgrund von beschränkten Ressourcen nicht so weiterfahren können wie bisher, ist mittlerweile wohl vielen klargeworden. Klar ist hingegen nicht, wie man mit neuen Ideen umgehen soll, die der Kreislaufwirtschaft zugrunde liegen. Und da setzt unser Leitfaden Circular Design Guide an. Wir bewegen uns also derzeit gerade aus einem bestehenden System heraus, um etwas komplett Neues zu kreieren, und dafür müssen wir die richtigen Fragen stellen.

Tim Brown: Design & the circular economy

LAH: Welche Fragen müssen denn gestellt werden?

LH: Zum Beispiel: Braucht jeder Mensch, der drei Mal im Jahr ein Loch in die Wand bohrt, tatsächlich eine eigene Bohrmaschine? Oder könnte man das nicht auch anders regeln? Besteht jedoch einzig die Möglichkeit eine Bohrmaschine zu kaufen – obwohl ich nur diese drei Löcher pro Jahr bohre – gehe ich natürlich mit einer gewissen Vorstellung in den Baumarkt. Auch mit einer finanziellen Vorstellung. Und schon befinde ich mich in einem Dilemma. Denn es ist anzunehmen, dass ich eher zu einem günstigen, minderwertigen Produkt greife, weil ich es nur selten benutzen werde. Ein Produkt also, das wohl kaum eine lange Lebensdauer aufweisen wird. Wenn eine Bohrmaschine allerdings einen Lebenszyklus von mindestens zehn Jahren aufweisen und in dieser Zeit oft und von mehreren Nutzern gebraucht werden soll, besteht bereits ein ganz anderer Qualitätsanspruch.

LAH: Wir müssen also auch das Konstrukt «Besitztum»in Frage stellen?

LH: Genau. Das ist ein Prozess, auf den wir uns begeben haben und den wir gemeinsam mit unterschiedlichen Firmen zu gestalten versuchen.

LAH: Werden uns künftig auch radikale Massnahmen –im Sinne eines grundsätzlichen Plastikverbots – auf den richtigen Weg bringen?

LH: Grundsätzlich ist es leider so, dass der Common Sense, also der gesunde Menschenverstand nicht immer präsent ist, wenn es ums Konsumieren geht. Obwohl eigentlich jeder verstehen müsste, dass, wenn ein Einwegbecher, der im Müll landet, zu einem Problem wird beziehungsweise das Problem schon von Anfang an vorhanden ist. In solchen Momenten schalten wir als Konsumenten unser Gehirn aus. Und auch dann, wenn wir das Flugzeug anstelle einer Zugreise wählen oder mit dem Auto fahren statt mit dem Fahrrad.

LAH: Bequemlichkeit?

LH: Mit Sicherheit auch. Und eine Bequemlichkeit übrigens, für die wir Gestalter mitverantwortlich sind. Um also auf die Frage nach Verbotsregelungen zurückzukommen, mit denen wir die Konsumenten erziehen könnten – das stellt durchaus eine Möglichkeit dar. Viel eher glaube ich allerdings daran, dass es uns Designern gelingen kann, den Menschenverstand wieder in die Dinge hinein zu gestalten. Wenn ich es also beispielsweise schaffe, Zugreisen mit positiven Erfahrungswerten aufzuladen und damit Begehrlichkeiten beim Verbraucher wecke, wird sich manch einer für den Zug anstelle des Flugzeugs entscheiden. Denn richtig gestalten bedeutet letztlich immer auch, den Leuten dabei zu helfen,die richtigen Entscheidungen zu treffen.

LAH: Wie sieht es mit der Kreislaufwirtschaft in der Möbelbranche aus?

LH: Auch in diesem Bereich wird schon einiges getan. Ikea beispielweise geht als gutes Beispiel voran. Dort ist unter anderem ein Tritthocker im Sortiment, der sich gut verkauft und vollumfänglich aus recyceltem Material besteht. Ich glaube daran, dass die Verbraucherin merkt, dass sie es mit einem besonderen Material zu tun hat, wenn sie einen solchen Hocker ersteht. Mit einem Material vielleicht, dass sich unglaublich gut anfühlt –– und daraus die Qualität des Produktes erkennbar wird. Tritt dieser Fall ein, habe ich als Unternehmen schon gewonnen und werde weitere Schlüsse daraus ziehen können.

LAH: Lassen Sie uns über Design Thinking sprechen, einen Begriff, den Ihre Firma mitunter geprägt hat und der zu einem regelrechten Schlagwort geworden ist. Definitionen dazu findet man einige – wie muss der Begriff Ihrer Meinung nach verstanden werden?

LH: Es bedeutet auf alle Fälle nicht, einfach nur über Design nachzudenken. Mich stört es sehr, dass Design Thinking zu einem Schlagwort verkommen ist, das schnelle Lösungen in fünf Schritten verspricht. Vielmehr geht es bei Design Thinking um eine Haltung, die den Menschen und seine Bedürfnisse ins Zentrum rückt. Um eine Denkweise, die Veränderungen anregen will und schliesslich neue Impulse in einen Betrieb bringen soll. Das setzt natürlich voraus, auch über die bestehende Kultur und die Produktionsprozesse in einem Betrieb nachzudenken. Denn man kann nicht etwas Neues wollen, ohne Bestehendes in Frage zu stellen – das funktioniert einfach nicht. Wiederum gilt es auch hier, Fragen zu stellen. Fragen, mit denen ich als Designer in der Folge arbeiten kann, um den Sinn und Zweck eines Unternehmens zu definieren.

LAH: Und da machen die Firmen ohne weiteres mit?

LH: Manche Firmen haben mit diesem Denkansatz tatsächlich schon von Beginn weg Mühe, da sie es nicht gewohnt sind, sich von bestehenden Strukturen und stringenten Prozessen zu verabschieden. Sie sind auch nicht dazu bereit, etwas Neues auszuprobieren, um in der Folge aus den Fehlern zu lernen – die unweigerlich gemacht werden. Aber genau darum geht es bei Design Thinking eben auch: Fehler sollen nicht bestraft werden, sondern neue Mechanismen in Gang setzen. Nur so kann man den Bedürfnissen von Verbrauchern gerecht werden und Wertvolles hervorbringen. Wenn ich es als Firma also schaffe, Fehler nicht mehr zu bestrafen und nicht nur Einzelpersonen, sondern Teams für ihre Leistungen zu belohnen, bin ich in der Lage, kulturelle Veränderungen in einem Betrieb herbeizuführen. Und so bringe ich meine Mitarbeiter letztlich dazu, anders und empathisch zu denken.

LAH: Wo liegt der Nutzen von Design Thinking für die Kreislaufwirtschaft?

LH: Ich glaube die Kreislaufwirtschaft an sich wird uns viel näher an die Nutzer, an die User bringen – und ich möchte an dieser Stelle bewusst nicht von Konsumenten sprechen…

LAH: Warum nicht?

LH: Weil Konsument ein wirtschaftlicher Begriff ist. Davon möchte ich gerne wegkommen. Es soll vielmehr um Menschen gehen. Denn das System der Kreislaufwirtschaft ist viel näher am Menschen dran. Wenn ich beispielsweise in Zukunft plötzlich die Möglichkeit habe, eine Bohrmaschine zu mieten, anstatt eine zu kaufen, weil ich jährlich ja nur drei Löcher bohre, habe ich auf den Menschen reagiert und dementsprechend eine Dienstleistung angeboten. Und wenn ich etwas aus diesem Kreislauf-System lerne und in meine Gestaltungsweise einfliessen lasse, bin ich ganz schnell wieder bei der Haltung von Design Thinking angelangt. Denn wie bereits gesagt: Ein Design Thinker ist ständig darum bemüht, den Menschen und seine Bedürfnisse ins Zentrum zu stellen und neue Wege zu beschreiten. Darum passen die beiden Modelle sehr gut zueinander.

LAH: Werden Gestalter also künftig unsere Welt retten können?

LH: Primär glaube ich nicht daran, dass unsere Welt untergeht – auch wenn wir mittlerweile auf dem besten Weg dahin sind. Und es wäre naiv, zu glauben, dass Designer alleine die Welt retten können. Denn wir bilden letztlich nur einen Teil eines Wirtschaftssystems. Aber als Gestalter tragen wir natürlich eine Verantwortung. Teil unserer Aufgabe wird es deshalb weiterhin sein, beharrlich die richtigen Fragen zu stellen und so neue Anregungen zu schaffen. Das geht aber nur gemeinsam mit anderen Akteuren. Es stimmt mich zumindest optimistisch, wenn ich sehe, wie in London, in unserem «Circular Economy Co-Lab», unterschiedliche Firmen an einem Tisch Platz nehmen – die vielleicht sogar in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen – und gemeinsam versuchen, das Thema Kreislaufwirtschaft auf den Weg zu bringen.

FOTOGRAFIE: Desso, Pentatonic, Opendesk, Ecobirdy
VIDEO: Circular Design Guide