«Athleisure» – Fashion für die Digitalen Nomaden

LINKS: Cottweiler ist ein britisches Concept-Menswear Label mit Casualwear, das auf Einfachheit, Funktion, Schnitt und Fabrikationsstandards achtet. Mit gekonnten Inszenierungen wird diese Haltung zelebriert. ©Christopher Dadey  RECHTS: Ob in der City, im Fitnessstudio oder auf der Laufbahn, der schmucke Schuh wurde speziell für lange Läufe kreiert. Adidas by Stella McCartney Sneakers Ultraboost ©Adidas

Als Karl Lagerfeld 2012 in der Talkshow von Markus Lanz das Statement von sich gab: «Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren», hätte niemand gedacht, dass ein einziger Satz eine derart starke Wirkung haben würde und um die ganze Welt ginge. Nur ein paar Jahre später schickte derselbe Karl Lagerfeld für Chanel Jogginghosen, Leggings und Tweed-Sneaker über den Laufsteg. Erst diese fulminante Kehrtwende ermöglichte die neue Symbiose von High-Fashion mit Sportswear. Und alle Luxusmarken folgten dieser neuen Richtung. Doch der neue Fashionmegatrend wurde erst mit dem englischen Kunstwort «Athleisure» greifbar, das sich aus «athletic» und «leisure» (Freizeit) zusammensetzt. Damit werden die wichtigsten Einflüsse beschrieben, die diese Entwicklungen prägen: Funktionalität und Bequemlichkeit in Kombination mit gutem Design. Athleisure ist inzwischen zum modernen Statussymbol mit Wohlfühlfaktor geworden. Und repräsentiert bereits eine ganze Gesellschaftsentwicklung.

LINKS: Technisch erhaben, zweckmäßig und gekonnt setzt Cottweiler die Vision von Allzweckkleidung um. MITTE: Das Natürliche wird mit dem Künstlichen verschmolzen und aktualisiert schlichte Sportkleider mit innovativen und luxuriösen Stoffen. RECHTS: Funktionell und ästhetisch wird Sportkleidung zum Statement. Alle Bilder ©Christopher Dadey

High-Fashion meets Sportswear

Wie nah sich Fashion und Sport mittlerweile sind, zeigen Hybride und interdisziplinäreZusammenarbeiten der grossen Marken. Die Kooperationen zwischen Weltstars verpassen der Sportswear ein zeitgemässes Make-Over und es entstehen neue Power Couples, wie das derSängerin Rihanna mit Puma oder des TopmodelsGigi Hadid mit Reebok. Damit gewinnt Sportswear an ganz neuer Glaubwürdigkeit, Interesse und Glamour. Wir finden Athleisure längst nicht nur in Fitnessstudios oder auf Sportplätzen, sondern auch im Büro, in Restaurants oder auf den roten Teppichen dieser Welt wieder. Dabei spielt die neue Sportswear mit High-Fashion-Materialien wie Kaschmir, Tweet oder Seide und die High-Fashion Welt wiederum mit den funktionalen Textilien wie Softshell, Mesh oder Neopren der Sportswear. Es entsteht eine spannende Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Die Athleisure-Bewegung geht bereits so weit, dass zwischen Sportabteilung und Luxusboutique kaum noch zu unterscheiden ist. Es verwundert also nicht, dass das Luxuswarenhaus Bon Marché in Paris eine erste Athleisure-Fläche zwischen den teuren Luxusmarken eingerichtet hat. Auch das US-Wörterbuch «Webster’s Dictionary» hat den neuen Ausdruck «Athleisure» offiziell in den Sprachgebrauch aufgenommen.

 

Athleisure, die Uniform des 21. Jahrhunderts

Branchenriesen wie Adidas, Puma und Nike haben längst entdeckt, dass auch unsportliche Menschen athletisch und sexy aussehen wollen, und gehen deswegen Kooperationen mit Topdesignern ein. Ihr unverbrauchter Blick auf Sportbekleidung trägt das ästhetische Spektrum der Sportindustrie weit über Fleecejacken und Neonfarben hinaus. Eine der ersten Firmen war Adidas, die bereits 2005 mit Stella McCartney eine langfristige Partnerschaft einging und eine Sportswear-Kollektion lancierte. Zum ersten Mal hatte eine führende Fashiondesignerin eine funktionelle Sportlinie für Frauen entworfen. Es folgten Raf Simons, Rick Owens, Jeremy Scott, Yohj Yamamoto und Alexander Wang. Ein weiteres Zeichen dieses sich anbahnenden Athleisure-Trends sah man 2014,als der Onlineriese Net-a-Porter einen Ableger für Sportswear namens Net-a-Sporter lancierte. Des Weiteren führte H&M im Herbst 2014 eine Kollektion mit dem amerikanischen Designer Alexander Wang ein, der wiederum in seiner Kollektion Softshell verarbeitet und damit für Furore in der Fashionwelt sorgte. Für ihn ist Sportswear eine Art Uniform des 21. Jahrhunderts.

Mittlerweile haben Luxusmarken wie Kenzo, Hermès, Prada, Chanel bis zu Gucci, Dior oder Tom Ford ihre eigene Interpretation und Standardkollektionen der klassischen Sneakers und Jogginghose in ihren Luxusboutiquen. Noch vor sieben Jahren wäre so etwas nicht denkbar gewesen. Endlich geht es in der High-Fashion nicht mehr nur um das schicke Aussehen, sondern auch um den funktionalen, bequemen Wohlfühlfaktor.

 

Wachstumsstärkstes Segment

Der Megatrend «Athleisure» aus bequemer Fashion-Sportbekleidung ist ein sphärenübergreifendes Statement geworden und gehört zum wachstumsstärksten Segment in der Lifestyle- und Bekleidungsbranche. Während die gesamten Einzelhandelsumsätze in Amerika stagnierten, nahm der Umsatz von Sportbekleidung 2018 um 24% zu.Gemäss dem US-Marktforschungsunternehmen NPD Groupwächst diese Sparte 2019 weiter. Bereits 2017 verzeichnete Adidas in Nordamerika, dem stärksten Markt für Sportartikel, eine Umsatzsteigerung von 3,8 Milliarden Euro – 35 Prozent mehr als im Vorjahr. Im letztenJahr erreichte die Vorreiterin dieses Trends, die kanadische Yogamarke Lululemon, einen Rekordumsatz,und im zweiten Quartal dieses Jahres konnte sie ihren Gewinn wieder fast verdoppeln, umgerechnet auf 623 Mio. Euro. Die Athleisure-Welle ist ungebrochen und verankert sich mehr und mehr. Nach dem US-Wirtschaftsmagazin «Forbes» könnte der Markt für Athleisure bis 2024 global 232 Milliarden Dollar erreichen. Weiteres Wachstum zeichnet sich in Asien ab, wo dieser Trend erst am Anfang steht. Angesichts dieser Zahlen könnte man denken, dass die Menschen sportlicher werden, was jedoch weit gefehltist. Die NPD Group entdeckte, dass fast die Hälfte der gekauften Sportkleidung als Alltagsgarderobe in der Freizeit, im Beruf oder in der Schule getragen wird.

LINKS & RECHTS: Ein Reptilienlook eignet sich ideal für die reflektierenden Partien auf dem atmungsaktiven Gewebe. Durch das Muster wird Plastizität hervorgerufen und der Träger kann besser wahrgenommen werden. MITTE: Die Marke Lululemon zeigt funktionale Muster auf einem atmungsaktiven und Feuchtigkeit ableitenden Gewebe. ©Lululemon.

 

Megatrends «New Work» und «Health»

Weitere Faktorenfür den unaufhaltsamen Erfolg des Athleisure-Lifestyles sinddie Globalisierung und die digitalen Veränderungen. Sie brachten mehr Mobilität und Individualisierung und haben damit einen Strukturwandel in unserer Gesellschaft ausgelöst. Ein Zeichen davon ist das zunehmende Verschwimmen der Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben, was wiederum unsere Art verändert hat, wie wir leben, arbeiten und uns kleiden. Ebenso wird unsere Zeit zur Mangelware, was die Grenzen zusätzlich verschwinden lässt. Immer mehr Menschen machen ihre Arbeit heute im Sitzen oder am Computer und bewegen sich deswegen generell zu wenig. Vielleicht habendeswegen die neuenY- und Z-GenerationenSport und Health für sich in den Lebensmittelpunkt gestellt. Der Athleisure-Trend ist eng mit den beiden Megatrends «New Work» und «Gesundheit» verknüpft. In Zukunft werden Funktionalität und Bequemlichkeit in allen Lebensbereichen ein zentrales Thema sein. Die Outfits sollen deswegen unkompliziert, flexibel und disziplinübergreifend anwendbar sein, um die Looks sowohl im Büro, im Ausgang, zu Vernissage wie auch im Restaurant oder zur Uni tragen zu können. Sneakers sind inzwischen aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Bereits das Tragen von Sportkleidung vermittelt uns manchmal das Gefühl,gesünder und fitter zu sein.

Noch vor sieben Jahren trennte man die Bereiche Fashion und Sportswear. Obwohl sich die Fashiondesigner immer wieder von Details und Materialien der Sportbekleidung inspirieren liessen, kam es niemandenin den Sinn, diese Outfits wirklich für den Sport anzuziehen. Bis dahin verlief der Style-Transfer einseitig von der Sportswear über zur Fashion. Doch nun scheint alles möglich zu sein. Wohin wir schauen, entdecken wir wasserdichte Reissverschlüsse, Tunnelzüge, hautenge Mesh-Oberteile, Stirnschweissbänder, Rucksäcke in allen Varianten mit baumelnden Wasserflaschen. Sneakers sehen inzwischen wie Neopren-Socken aus und sind nicht nur im Sportstudio, sondern auch bei den Luxusboutiquen zu finden. Es ist normal geworden, Jogginghosen aus Kaschmir mit High Heels zu kombinieren oder Bomberjacken aus edlen Wollstoffen zu tragen. Wer eine Jogginghose trägt, repräsentiert damit die neuen StatussymboleFitness, Disziplin und einen gesunden Lebensstil. Dank Athleisure verläuft zwischen dem Fitness-Look und coolen Fashion-Outfits nur noch eine schmale Linie.

Die Lululemon-Kollektion verfügt über ein Reflektionsmuster, dass ein 360° Reflexionsvermögen aufweist und den Träger sichtbarer macht. ©Lululemon.