BESUCH AUF DER ALP FOPS
RAINER BRENNER • 28.08.2018

«Uns war immer klar,
dass wir zurückkommen würden.»

Gian Malär leitet in sechster Generation die Alphütte Fops in der Lenzerheide. Er hütet dort oben nicht nur Gäste und Kühe, sondern oft auch die eigenen Kinder. Ein Besuch im Familienbetrieb auf 1800 Metern über dem Meer.

Wer Gian besuchen will, braucht gute Schuhe und etwas Zeit. Von der Lenzerheide aus dauert der Aufstieg zur Alphütte Fops rund zwei Stunden. Wer wie wir die Reise mit dem Tgantieni-Sessellift abkürzt, läuft nur eine knappe halbe Stunde. Auf der Terrasse empfangen uns Gian, seine 3-jährige Tochter Gianna, einige Gäste in Sportbekleidung sowie eine atemberaubende Aussicht auf das Lenzerhorn und die umliegenden Berggipfel.

Gian trägt ein T-Shirt der Band Sonic Youth, eine Baseballkappe auf dem Kopf und ein verschmitztes Lächeln im Gesicht. Der 39-Jährige führt die Alphütte in der sechsten Generation und hat fast das ganze Jahr über hier oben zu tun. «Zwischen Juni und September hüten wir hier Vieh. Momentan sind es 62 junge Rinder, ein Grossteil davon gehört nicht mir selbst, sondern wird von anderen Bauern hochgebracht.» Seit 1998 steht die dreistöckige Hütte auch den zweibeinigen Besuchern offen, das Angebot ist klein und regional: Nebst kalten und warmen Getränken serviert Malär während den Sommermonaten Suppe oder Brettli mit Wurst und Käse. Im Winter gibt’s Pizokel, Capuns – und natürlich Fondue.

Rund um die Welt und retour
Während auf der Terrasse die Herbstsonne brennt,  ist es in der Hütte selbst angenehm kühl. Im ehemaligen Heustock im linken Hausteil befindet sich nebst den Holzvorräten eine moderne Toilette. Im Original belassenen Erdgeschoss bewegt man sich aber noch immer gebückt durch die Räume, in der Luft mischen sich Holz- und Salzgeruch. In der kleinen Küche steht Gians wichtigste Errungenschaft: die Spülmaschine. «Ich brauche nicht viel Luxus, aber ohne Geschirrspüler würde ich es wirklich nicht mehr aushalten». Im Hintergrund läuft leise Gitarrenmusik. Ländlergedudel oder Schlager sucht man hier vergebens, was auch mit Malärs musikalischer Vergangenheit zu tun haben dürfte.

Gian Malär wuchs in Valbella auf und verbrachte zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern schon als Kind viel Zeit hier oben auf der Alp. Bis Mitte zwanzig machte sich Gian als Sänger der Punkrock-Band mfs über die Kantonsgrenzen hinaus einen Namen. Das Bandemblem auf seinem Gürtel erinnert immer noch an die feucht-fröhlichen Auftritte. Er studierte Kunst- und Kulturmanagement, wohnte einige Jahre «unten» in Zürich, wo er bis 2004 als Sportverkäufer jobbte. 2008 und 2009 bereiste er zusammen mit seiner Frau Nadia die Welt – sprichwörtlich: «Wir reisten ein Jahr lang einmal rund um den Globus, besuchten alle fünf Kontinente. Mir gefiel es an vielen Orten, besonders gut in Neuseeland. Dennoch war für uns eigentlich immer klar, dass wir wieder hierher zurückkommen würden.» Inzwischen sind die beiden definitiv wieder in ihrer Heimat angekommen. Nadia arbeitet als Lehrerin in der Gemeinde, seit kurzem besitzen die beiden ein Haus in Valbella.

Ein Zuhause mit Dauergästen
Die Gäste verabschieden sich namentlich von Gian. Wer ihn noch nicht kennt, ist spätestens nach dem ersten Plättli oder Witz per Du. Auch wenn Gian in der Rolle des authentischen Hüttenwarts voll und ganz aufzugehen scheint, bleibt die Frage nach der Grenze zwischen Privatleben und Arbeit. Dasselbe gilt auch für dieses Haus: Auf vergilbten Fotos lachen klein Gian und sein Bruder im Speiseraum den Gästen entgegen. Daneben hängt viel Swissness an den Wänden – in Form von Kuhglocken, Schellenursli-Bildern und alten Skiern. «Ich verbinde viele Erinnerungen mit dieser Hütte, fühle mich hier auch zuhause. Aber wirklich alleine ist man halt nur ganz selten, die meiste Zeit über teile ich diese vier Wände mit den Gästen. Nur im Frühling und Herbst bin ich alleine hier oben und manchmal für Kilometer der einzige Mensch weit und breit. Diese Momente sind ein wichtiger Kontrast zur Hauptsaison.»

 

Das Leben auf der Alp

Die Jahreszeiten machen den Arbeitsplan
«Seit die Kinder auf der Welt sind, schlafen wir auch nicht mehr so oft hier auf der Alp wie früher. Meistens gehe ich am Abend wieder runter.» Dennoch wirkt der oberste Stock der 140-jährigigen Alphütte noch immer wohnlich und auf einfache Art gemütlich: Unter der niederen Decke liegen mehrere Matratzen, dazu ein altes Spinnrad und neben dem Babybettchen eine Packung Feuchttücher und Windeln. Mittlerweile ist auch Gians Frau Nadia mit der einjährigen Sienna und dem fünf Wochen alten Duri in der Hütte angekommen. Sienna stürzt sich auf den Speck am Plättli, Duri schläft auf der Terrasse und die grosse Schwester Gianna kontrolliert den Wasserstand im Trinknapf der Rinder.

«Das Schönste an der Arbeit hier oben ist die Abwechslung», findet Gian. «Die Jahreszeiten geben einen recht vielseitigen Rhythmus vor. In den Wintermonaten dreht sich alles um die Gastronomie, im Frühling schlage ich hier oben ganz alleine die Zäune ein, im Sommer kommt das Vieh, im Herbst wird geholzt. So verleidet mir weder das eine noch das andere. Zudem habe ich nicht nur während der Ferien und am Papi-Tag Zeit für meine Kinder, sondern nehme sie im Sommer auch manchmal mit hier hoch.»

Ob Gian wie seine Vorgänger der Alp ein Leben lang treu bleibt und danach an die nächste Generation übergibt, darüber macht er sich noch keine Gedanken. Gianna scheint das Hüttenleben jedenfalls zu geniessen – mittlerweile putzt sie mit dem gesammelten Wasser aus dem Suppentopf die Bänke und präsentiert uns stolz das selbstgemalte Kuh-Tattoo auf ihrem Bein. «Nur das mit dem Auf-Wiedersehen-Sagen müssen wir noch ein bisschen üben», grinst Gian, während sich die Kleine hinter seinen Beinen versteckt.

FOTOGRAFIE: ANNE MORGENSTERN