Susanna Koeberle • 11.10.2018

Lernen von Meistern und Meisterinnen

Sarah Kueng und Lovis Caputo arbeiten seit 10 Jahren als Kueng Caputo zusammen. Das Duo geht stets von einem klaren Konzept aus und experimentiert lange, bis das gewünschte Resultat steht. Doch auch der Zufall darf mitspielen.

Handwerk und demokratisches Design: Das klingt zunächst nach einem Gegensatz. Dass das nicht immer so ist, zeigt die Arbeit von Kueng Caputo. Das Zürcher Duo, bestehend aus Sarah Kueng und Lovis Caputo, hat sich während der Ausbildung an der ZHdK kennengelernt und arbeitet nun schon seit 10 Jahren zusammen. Dabei steht das Thema Handwerk im Zentrum ihrer Tätigkeit. Für klassische Produktdesignerinnen ist das eher untypisch. Auch die Arbeiten der beiden Gestalterinnen tanzen aus der Reihe und sind eher konzeptueller Natur. Als Künstlerinnen sehen sie sich deswegen aber nicht. Dieses Navigieren zwischen den Fronten macht ihre Arbeit besonders spannend. Was offensichtlich auch Designgalerien so sehen. Eine davon ist Etage Project in Kopenhagen, bei der sie vor Kurzem eine Einzelausstellung hatten. Doch limitierte Editionen hin oder her: Elitäres Denken ist Kueng Caputo vollkommen fremd! Ihre Arbeitsweise steht vielmehr im Zeichen von gemeinschaftlichem Gedankengut.

So basiert gerade ihre Zusammenarbeit mit Handwerkerprofis aus den unterschiedlichsten Berufen besonders auf Teamwork. Und auf einem immensen Respekt für die Arbeit und das Knowhow dieser Menschen.

Das Duo lässt sich immer wieder auf Experimente ein. Manchmal auch im internationalen Kontext wie hier für eine Marke aus Mexiko.

«Es ist wirklich schade, dass dieses Wissen immer mehr verloren geht. Mit unserer Arbeit wollen wir dazu beitragen, das Handwerk am Leben zu erhalten», sagt Lovis Caputo bei unserem Besuch im Atelier.

Sarah Kueng ist derweil für ein Handwerksprojekt in Wien unterwegs. Auch das ist ein Vorteil im Kollektiv: Man kann sich die Arbeit aufteilen. Die beiden Gestalterinnen haben sich ganz dem Solidaritätsprinzip verschrieben. Egal, wer grad arbeitet, die Einkünfte werden immer geteilt.

Bei vielen Projekten legen sie selbst Hand an, «das ist etwas vom Schönsten an unserer Arbeit», sagt Lovis Caputo. Doch Handarbeit ist teuer, das schlägt sich entsprechend auch in den Preisen für die Kueng Caputo-Stücke nieder. Das Duo interessiert sich indessen aber auch für serielle Produktionsformen, wie etwa ihre Vasen- und Geschirrkollektion für Arita 2016 zeigt. Auch ein ganz neues Projekt für eine Linie mit unterschiedlichen, farbigen Griffen für Möbel geht in diese Richtung. «Wie sind eher per Zufall in diese Highend-Schiene hineingerutscht, es war keine bewusste Entscheidung», erzählen die Designerinnen.

Für das Projekt Arita 2016 wurden verschiedene europäische Designbüros nach Arita (Japan) eingeladen. Kueng Caputo hat eine Serie Vasen und Schalen entworfen, die dort in Serie (aber teilweise von Hand) hergestellt werden. 2017 haben sie damit den Swiss Design Award.

Die Konzentration auf handwerklich gefertigte Objekte ist bei Kueng Caputo durchaus auch als Konsumkritik zu verstehen. Wir haben in unseren Breitengraden von allem zu viel; das Erwerben von handgemachten Sachen ist vielleicht der Versuch, Dinge wieder zu Lieblingsstücken werden zu lassen, einen emotionalen Zugang zu Gegenständen zu kultivieren. Gegenstände, die wir dementsprechend wertschätzen und sogar weitergeben. «Die Generation meiner Eltern hatte einen ganz anderen Umgang mit Besitz. Man hatte wenig, aber dafür Gutes. Diese Gesinnung hat mich geprägt», erzählt sie. Design machen bedeutet für Kueng Caputo nicht einfach Produkte zu entwerfen und diese dann auf den Markt zu schleudern, sondern auch eine Haltung einzunehmen, sich gesellschaftlich einzubringen. Das war auch der Ausgangspunkt bei ihrem Wiener Projekt, zu dem sie von der Vienna Design Week eingeladen wurden. Die «Passionswege» sind ein kuratiertes Format, das die Vienna Design Week schon bei ihrer Gründung vor 12 Jahren eingeführt hat. Damals hatten viele für das Thema Handwerk nur ein müdes Lächeln übrig, heute ist es aktueller denn je. Handwerksinitiativen spriessen allerorten wie Pilze aus dem Boden.

© Kollektiv Fischka

Die beiden Designerinnen wurden mit einem Handwerksbetrieb zusammengebracht, zu dessen Erzeugnisse sie keinen Bezug hatten. Etui Fialka ist auf die handwerkliche Herstellung von Kassetten und Etuis spezialisiert. Sie habe zuerst an Särge denken müssen, erinnert sich Caputo mit einem Schmunzeln. Aber es gelang den beiden, daraus etwas ganz Eigenes zu machen. Sie zäumten das Pferd von hinten auf und starteten beim Gebrauch dieser Boxen. Gemeinhin werden sie für die Aufbewahrung von Medaillen verwendet. Wofür sollte man heute Medaillen verleihen? Als politisch engagierte und interessierte Zeitgenossinnen kamen sie auf die aktuelle Flüchtlingsproblematik. Dass Helferinnen und Helfer häufig kriminalisiert werden, empfinden sie als stossend. Solchen Leuten müsste man doch eine Medaille verleihen, statt sie für ihr couragiertes Handeln zu bestrafen! Und diese Medaille müsste man auch sehen und nicht in einer Box verstecken.

Ausgehend von diesem Gedanken und vom handwerklichen Prozess der Etuiherstellung haben sie Boxen entwickelt, die von ihrer ursprünglichen Verarbeitung abwichen. Statt die Holzschatullen wie üblich zu öffnen, wurden sie mit einem Schlitz versehen. In diesen Schlitz konnte man die von ihnen ersonnene, fiktive Medaille stecken. Dann nochmals eine Schachtel drauf und fertig war die Skulptur. Aber Vorsicht: Es geht dabei nicht um das Schaffen eines unnützen Objekts, sondern um die Sache, um das Konzept. Denn es ist den beiden durchaus ernst mit der Medaille, weswegen sie auch Recherchen zum Thema angestellt haben. Und so kommt es, dass das Handwerk zu einem Scharnier, zu einem Bindeglied zwischen scheinbar fremden Welten werden kann. Den Kern ihrer Projekte bilden Menschen und Ideen, nicht einfach nur die tote Materie. Dieser konzeptuelle und gesellschaftskritische Ansatz rückt ihre Arbeit in die Nähe zur Kunst.

Im Rahmen der Passionswege anlässlich der Vienna Design Week haben Kueng Caputo in Zusammenarbeit mit Etui Fialka ein ganz besonderes Objekt erarbeitet. Sie haben eine Skulptur geschaffen, bei der die Schachtel von ihrer ursprünglichen Funktion entfremdet wird. Gleichzeitig ist daraus eine neue Bedeutungsebene entstanden. Design heisst für die beiden Gestalterinnen auch Engagement. © Kollektiv Fischka

Ebenso wichtig ist das Erkunden von Materialien. Für viele Projekte wenden sie sich an Spezialisten, etwa für die Verarbeitung von Leder oder Stein. Aber was ist, wenn es etwas noch gar nicht gibt? Dann wird probiert und getüftelt. Von verunglückten Experimenten lassen sie sich nicht abschrecken, beide haben ein ausgesprochen hartnäckiges Naturell. „Wir scheitern von morgens bis abends», stellt Caputo mit trockenem Humor fest. So war das etwa bei ihrem Leuchtenentwurf für die neuste Ausstellung bei Etage Projects. Am Anfang stand eine hundskommune Leuchtstoffröhre. Wie kann man ein so alltägliches Stück aufwerten, das in vielen Haushalten auf der ganzen Welt gebraucht wird? Das Arbeiten mit Farben liegt den beiden besonders und so beschlossen sie ein buntes «Kleid», eine Art Überwurf für die Lampe zu erfinden – aus Glasgranulat. Sie haben die farbigen Teile eingeschmolzen und damit ein Rechteck gebildet. Dieses Rechteck haben sie im weichen Zustand wie ein Textil über einen Stab gelegt. Das ist zu Beginn meist gesprungen, erzählt Caputo. Für diese experimentelle Art des Arbeitens braucht es viel Geduld, denn man muss bereit sein, auch Zufälle zuzulassen. Aber das Resultat ist dafür umwerfend schön.

Für ihre Einzelausstellung bei Etage Projects (ihre Galerie in Kopenhagen) haben Sarah Kueng und Lovis Caputo neue Leuchten aus Glasgranulat entworfen. Der Entwurf besteht aus einem farbigen Überwurf, der über eine einfache Leuchtstoffröhre gelegt werden kann.

Zuweilen lassen auch sie sich von der Schönheit der Dinge verführen. Das war etwa bei den Teppichen der Fall, die Frauen eines marokkanischen Berberstamms aus Textilresten herstellen. Aus der Faszination für die kunstvoll gewobenen Muster entstand das Projekt «Hommage Carpets». Wir alle sind Designerinnen und Designer, könnte das Motto dieser Arbeit heissen. Wie Kueng Caputo diesen Gedanken umgesetzt haben? Sie haben diese wunderschönen, farbigen Teppiche als Hommage nachgebildet, aber aus einem ganz neuen Material, nämlich Gummigranulat. Damit hatten sie schon zwei Jahre lang experimentiert, nun konnten sie dieses Wissen auf einen neuen Entwurf übertragen. Das alles braucht viel Zeit, deswegen sind die hohen Preise der Stücke mehr als gerechtfertigt. Sie wissen um den Wert sorgfältig gefertigter Dinge.

Die Teppiche aus Gummigranulat sind eine Hommage an die Kreationen der Berberfrauen aus Marokko. Kueng Caputo hat die kunstvollen Muster dieser Teppiche «kopiert» und sie auf ein neues, ungewöhnliches Material übertragen. Das Thema der Kopie beschäftigt die beiden seit ihrer gemeinsamen Diplomarbeit an der ZHdK.

«Es ist einfach nicht realistisch, dass ein Tisch 15 Franken kostet. Das Material allein kostet ja mehr», findet Caputo. Handwerk ist eine der Möglichkeiten, die Herkunft der Materialien und die Produktionsprozesse zu kontrollieren. Design und Verantwortung gehen für Kueng Caputo Hand in Hand.

Das Duo gestaltete für das Zürcher Lokal SiloSilo die gesamte Inneneinrichtung. Die Holzmöbel werden in Zürich in einer Schreinerei gefertigt und anschliessend von Kueng Caputo bemalt.

Fotografie: Kollektiv Fischka, Kueng Caputo, Paola  Caputo