Ariana Pradal • 17.01.2019

Teppichgeschichten: Das entschleunigte Geschäft

Unsere Fassaden werden immer dichter und unsere Böden wärmer. Braucht ein Raum da noch schützende Textilien? Lange schien dies nicht so. Doch seit der Jahrtausendwende ist der Teppich langsam wieder salonfähig geworden. Seine Wiederbelebung hat auch das Interesse von Designern in der Schweiz geweckt. Drei junge Labels und ein gestandenes Duo, das schon früh den Trendwechsel erkannt hat, erzählen, wie sie auf den Teppich gekommen sind.

Von Zen bis Halluzinogen

Christoph Heftis Teppiche sprengen alles, was man sich bisher unter einem Teppich vorgestellt hat: Die ungewöhnliche Kombination der Motive, von Tradition und Zeitgeist oder das Zusammenfügen verschiedener Teile zu einem neuen Ganzen. Und doch werden alle Stücke des zwischen Mode, Möbel und Musik pendelnden Designers traditionell von Hand in Nepal geknüpft. Zu den expressiven Werken des Textildesigners gesellen sich auch ruhige Entwürfe mit Farbverläufen oder einem Motiv, das an übereinander liegende Papierfetzen oder Steine erinnert. «Mein Weg, einen Teppich zu entwerfen, ist natürlich entstanden. Vor etwa fünf Jahren hatte ich die Idee: Ich mache mal einen Teppich und sehe mir an, wohin er mich führt. Unbewusst habe ich wohl eine Alternative zur Mode gesucht», fasst Christoph Hefti den Anfang seiner Teppichgeschichte zusammen. Er, der seit Jahrzehnten Textilien für die Modebranche entwirft, wollte wieder etwas Neues ausprobieren und wieder näher ans Handwerk.

«Meistens löst mein Teppichprojekt eine etwas verblümte Sehnsucht bei den Leuten hier in Europa aus. Sie denken dann an Reisen, Kreativsein und so […]»

Für seine Teppichkreationen reist Christoph Hefti immer wieder zu Herstellern nach Nepal. Er sucht an Ort und Stelle nach Partnern. Manche Designs hat er vorbereitet, andere entstehen vor Ort. «Meistens löst mein Teppichprojekt eine etwas verblümte Sehnsucht bei den Leuten hier in Europa aus. Sie denken dann an Reisen, Kreativsein und so. Aber die Realität sieht anders aus: Man muss zäh sein und Durchhaltevermögen besitzen. Es ist ein unberechenbares Business, und es ist viel Geld im Spiel, denn die Investitionen sind hoch», bringt der Textildesigner seine Erfahrungen auf den Punkt. Manchmal gäbe es auch tolle Überraschungen, denen dann eine Reihe von Enttäuschungen folgen, ergänzt der umtriebige Designer. Trotzdem macht er weiter, denn seine Begeisterung für dieses Objekt ist gross: «Mich faszinieren die Tradition und Kultur der Teppiche. Zudem bieten sie viele Möglichkeiten zur Gestaltung unserer Räume. In unserer eher langweiligen Geschmackswelt kann ein Teppich eine Abenteuerreise bieten. Wie ein spannendes Buch, aber halt mit Farben, Formen, Texturen und Materialien.»

Als Christoph Hefti mit den Teppichen begann, wusste er noch nicht, wie er den Verkauf organisieren sollte. Doch dann fand er die Brüsseler Galerie Maniera, die an internationalen Messen wie der Design Miami Basel teilnimmt und seine Werke an Sammler, Innenarchitekten und Design-Liebhaber verkauft.

Von Bern nach Marokko

Aufgehängt, gestapelt und gerollt – fast wie in einem traditionellen Teppichgeschäft präsentiert Salomé Bäumlin ihre zeitgenössischen Werke in ihrem Showroom am Berner Stadtrand. Die Textildesignerin ist auf dem Sprung. Bereits morgen reist sie wieder nach Marokko, um fertige Teppiche nach ihren Entwürfen in Empfang zu nehmen. «Die Teppiche hätten vor Wochen fertig sein sollen, damit ich sie auf den verschiedenen Messen hätte präsentieren und verkaufen können. Aber den Berberfrauen, die für mich weben und knüpfen, sind Lieferfristen egal.» Diese Feststellung stellt gleich klar, wie verschieden die Welten sind, zwischen denen die Bernerin pendelt. «Vor meiner Textildesignausbildung habe ich Kunst studiert. So sind Teppiche für mich noch heute Bilder im Raum. Da man darauf auch sitzt, steht oder schläft, werden die Nutzerinnen zu einem Teil des Bildes», erklärt die Unternehmerin ihren Blick auf diesen Einrichtungsgegenstand. Salomé Bäumlins Teppichgeschichte begann als Masterarbeit an der Hochschule für Gestaltung Luzern. Ende 2013 liess sie erste Prototypen dafür in Marokko fertigen. Heute arbeiten etwa 50 Berberinnen diverser Stämme in Marokkos Hinterland für ihr Teppichlabel Ait Selma. Die Frauen weben und knüpfen auf ihren traditionellen Webstühlen zuhause. Sie schauen nach den Kindern, den Tieren und wenn es die Zeit erlaubt, fertigen sie Teppiche. «Es würden gerne mehr Frauen für mich arbeiten. Aber dafür müsste ich Vertrieb und Verkauf verbessern», hält die Designerin fest. Aber wie bei so vielen Kreativen, ist dieser Teil nicht derjenige, für den ihr Herz am meisten schlägt.

«Vor meiner Textildesignausbildung habe ich Kunst studiert. So sind Teppiche für mich noch heute Bilder im Raum. Da man darauf auch sitzt, steht oder schläft, werden die Nutzerinnen zu einem Teil des Bildes»

Viele von Salomé Bäumlins Entwürfen sind schwarz, weiss oder grau. Linien und geometrische Muster prägen die Teppiche ihrer fünf Kollektionen, die beständig wachsen. Diese Farbigkeit ergibt sich aus der natürlichen Schafwolle, die von den Berberfrauen zu Garn gesponnen wird. «Viele meiner Dessins sind eine Reduktion der traditionellen Berbermuster – weniger Farben, weniger Formen. So schlagen die Teppiche von Ait Selma eine Brücke zwischen der Kultur der Herstellerinnen und der Käufer», erklärt die Textildesignerin. Salomé Bäumlins Teppichgeschichte ist mit sozialer Verantwortung und nachhaltiger Herstellung verbunden. Ihre Aufträge erlauben es den Berberinnen, zuhause Geld zu verdienen. Zugleich bleibt so das traditionelle Handwerk von der Wollherstellung bis zum fertigen Teppich erhalten.

Von der zweiten zur dritten Dimension

Teppiche wurden in der Vergangenheit nicht nur für den Boden, sondern auch für die Wand entworfen. Doch wer will heute noch Tapisserien? Die junge Textildesignerin Marie Schumann bewegt sich an der Grenze dazu – ihre Entwürfe können an der Wand oder im Raum aufgehängt werden. Was im ersten Moment thematisch wie aus der Zeit gefallen dünkt, fasziniert sobald man die von Marie Schumann als Softspace bezeichneten Kreationen sieht und berührt. Zart und elegant wirken ihre Gewebe, die sie da und dort auflöst. Ein einzelner Faden oder auch eine ganze Reihe von Fäden lösen sich aus dem Stoff und fallen der Schwerkraft folgend nach unten. Wölbt man den Softspace entsteht eine Fadenskulptur. Sind ihre Werke Wandteppiche, Raumteiler oder weder noch? «Ich nenne meine Arbeiten räumliche Gewebe oder textile Raumobjekte», erklärt die Designerin. «Die Softspaces 1 bis 7 entstanden für meine Masterarbeit an der Hochschule Luzern. Ich hatte kein Ziel vor Augen, sondern eher einen Weg», lacht Marie Schumann. Über das Experiment und die Intuition ist sie zu diesen Textilien gelangt, deren Wirkung und Haptik wirklich fesseln. Marie Schumann interessieren die atmosphärischen Eigenschaften von Textilien im Raum. Das Zusammenspiel von Architektur und Geweben. So sind ihre Softspaces durchaus in einer grösseren Dimension oder enger verzahnt mit der Architektur vorstellbar. Bisher hat die Designerin von allen ihren Entwürfen – 18 Softspaces wurden bereits realisiert und fünf werden demnächst fertig – jeweils nur ein Stück produziert. Alle sind entweder bei der Weberei Tisca im appenzellischen Bühler oder im TextielLab im holländischen Tilburg am Jacquardwebstuhl entstanden. Doch der digitale Code würde eine grössere Stückzahl pro Dessin erlauben. Oder auch verschiedene Kolorite oder Materialvarianten vom gleichen Entwurf. Diese und andere Fragen beschäftigen die Designerin zurzeit, während sie sich bereits auf den Salone del Mobile in Mailand vorbereitet.

Beim Pionier nachgefragt

Hugo Zumbühl und Peter Birsfelder haben 1998 ihre Firma Teppich-Art-Team gegründet, als Teppiche mit neuen Dessins und Materialien langsam wieder salonfähig wurden. Das Duo verwendet für seine Entwürfe immer wieder überraschende Materialien wie gebrauchte Kaffeesäcke aus Jute, ausgediente Kleider, oder sie kombinieren Garne aus Hanf mit solchen aus PVC. Das Label hat soeben sein 20-jähriges Jubiläum gefeiert. Grund genug, um bei Hugo Zumbühl nachzufragen, wie bei ihnen alles begonnen hat und wie die Zeichen heute stehen.

Wie sind Peter Birsfelder und du auf den Teppich gekommen?

Peter war viele Jahre Webmeister in der Justizvollzugsanstalt Thorberg. Ich habe eine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Zürich absolviert und war einige Jahre als technischer Berater in einer Kunsthandwerkskooperative in den peruanischen Anden tätig. Unter anderem im Bereich der Handweberei.

Durch was zeichnet sich eure Kollektion aus?

Wir versuchen, in unseren Produkten eine zeitgemässe Haltung auszudrücken und durch konsequente Materialästhetik und Qualität zu überzeugen. Einen grossen Stellenwert haben bei uns Transparenz in der Produktion, aber auch soziales und kulturelles Engagement. Die Materialien werden zu fairen Preisen von kleinen Handwerksbetrieben speziell hergestellt. Die Fertigung der Teppiche erfolgt in der eigenen Handweberei oder in Werkstätten schweizerischer Sozialinstitutionen.

Wie organisiert ihr Herstellung und Vertrieb?

Peter ist für die handwerkliche Umsetzung und Qualität verantwortlich. Ich bin für das Design und den Vertrieb zuständig. Der Vertrieb geschieht über den Zwischenhandel. Anfangs arbeiteten wir direkt mit Schweizer Einrichtungshäusern zusammen. Über zehn Jahre lang und zum Teil bis heut erfolgt der weltweite Handel über die Teppichfirma Ruckstuhl. In den letzten Jahren haben wir mehrheitlich direkt in unserem Atelier in Felsberg (GR) und vor allem auf verschiedenen Designmessen verkauft. Neuerdings auch über Okro-Konzepte in Chur.

Euer Markt?

Unsere Produkte stossen auf Designmessen stets auf grosses Interesse. Leider scheitert der Verkauf oft an den hohen Kosten. Die Konsequenz ist, dass man nur teilzeitlich in diesem Berufsfeld arbeiten kann, um überleben zu können.

Insight IKEA:

Zum Jahresanfang hat IKEA eine spezielle Teppichkollektion lanciert. Acht Künstler aus aller Welt haben acht ganz verschiedene Entwürfe auf den Boden gebracht. Wilde Kreationen sind nun definitiv salonfähig.