Schöpfen ist Kult

Nicole Gutschalk • 14.06.2018

Die Ära des Digitalismus und der Massenproduktionen fördert das Verlangen nach Kreativität, Individualismus und Sinnlichkeit. Nach Produkten, die wertig, einzigartig und nicht selten von Hand hergestellt werden. Wer nun aber glaubt, dass es sich bei der sogenannten Macher-Bewegung lediglich um einen Hype handelt, der irrt.

Es gab eine Zeit, da war Basteln ein Schimpfwort. Wer in seiner Freizeit strickte, töpferte oder häkelte, galt als uncool. Als Kupfer-Wolle-Bast-Tante oder – gendergerecht – als Bastelheini. Also nichts, wo man unbedingt dazu gehören wollte. Wer sich allerdings heutzutage handwerklich betätigt und bei sich zu Hause einen selbst gezimmerten Tisch, einen Makrame-Wandbehang oder eine Raku-Schüssel präsentiert, dem gebührt alle Ehre. Dass man für Selbsterschaffenes Anerkennung bekommt – auch gerne via Social Media – ist aber nur einer der Gründe, warum Schöpfen zum Kult erhoben wurde: Die einen üben damit Kritik am Überfluss, sprich an der Massenproduktion von Waren. Andere wiederum sehen im Selbergestalten den Ausgleich zu ihren ansonsten kopflastigen Jobs – in denen sie meist keinen Bezug mehr zum endgültigen Produkt ihrer Tätigkeit herstellen können. Andere wiederum möchten ausloten, wozu sie gestalterisch überhaupt in der Lage sind und daraus vielleicht sogar ein Business entwickeln. Warum auch nicht? Schliesslich hat das Internet die Entfernung vom Produzenten zum Verbraucher drastisch verkürzt, so dass es heutzutage ohne grossen Aufwand möglich geworden ist, lokal produzierte Kleinserien online zu vertreiben. Via eigenem Webshop auf Etsy oder Dawanda beispielsweise. Plattformen, die Gestalter aller Art zusammenbringen und mittlerweile Milliardenbeträge umsetzen.

Wer suchet, der findet

Die Lust am Kreieren überrascht manch einen aber eher zufällig, denn als klar definiertes Businessziel. Auf der Suche nach neuen Inhalten im Leben etwa, weil einem die alten plötzlich zu sinnentleert oder oberflächlich vorkommen. Wie bei Kathrin Eckhardt aus Zürich. «Als ich vor drei Jahren der Liebe wegen nach Ghana gereist bin, war ich bereit, alles auf den Kopf zu stellen. Plötzlich haben sich mir neue Horizonte eröffnet – warum nicht Lehrerin werden? Oder Krankenschwester? Die ehemalige Modestylistin hat sich Zeit genommen und treiben lassen.

«Denn nur, wer den Kopf frei kriegt, stösst auch auf neue Möglichkeiten»

davon ist Kathrin Eckhardt überzeugt. Bei ihren Marktbesuchen in der Millionenmetropole Accra wurde sie schliesslich fündig: Sie stiess auf Korbflechter, die in ihren Werkstätten mit viel Muse wahre Wunderwerke vollbrachten. Mit natürlichen Farben hantiert und hochwertiges Stroh zu sinnlichen Objekten verarbeitet haben. «Ich war begeistert!» So sehr, dass sie in der Folge eine kleine Stückzahl an Körben und ausgewählten Stoffen in die Schweiz importiert – sozusagen als Testlauf in ihrem Bekanntenkreis.

Die Sachen wurden ihr förmlich aus der Hand gerissen. «Allerdings wurde mir schnell klar, dass ich nicht einfach nur Dinge wiederverkaufen möchte – ich wollte in den Herstellungsprozess eingebunden sein und den Produkten meine Handschrift verleihen.» Was Kathrin Eckhardt nunmehr seit zwei Jahren auch tut: Sie kreiert Schnittmuster und Prints für Kleidungsstücke und Körbe. Teppiche wie auch Stühle werden nach ihren Designs und Farbvorstellungen entworfen. Das geht selbstverständlich nicht ohne engen Kontakt zu den ghanaischen Familienbetrieben, mit denen sie zusammenarbeitet. Und auch nicht, ohne immer wieder missverstanden zu werden. «Kein Wunder, denn schliesslich prallen ja auch zwei Welten aufeinander – da müssen beide Seiten immer wieder erklären, wovon sie eigentlich sprechen.» Dass sich diese Auseinandersetzung lohnt, ist Kathrin Eckhardts Produkten anzusehen.

Bindungen knüpfen

«Wie ein Produkt verkauft wird, hat viel mit der Person zu tun, die dahintersteckt»

Wenn es darum geht, Dinge zusammen zu führen, dann ist Marisa Burn eine Expertin. Die gebürtige Aargauerin und ehemalige Designstudentin hat schon früh verstanden, dass Menschen mehr wollen als einfach nur blind zu konsumieren. Dass sie auch wissen möchten, was hinter einem Produkt steckt, wer es kreiert hat und welche Materialien dafür verwendet wurden. Als Bloggerin der ersten Stunde führte sie bereits 2007 auf ihrem Online-Magazine HopeHope das zusammen, was ihren ästhetischen Ansprüchen entsprach und hat zu den jeweiligen Produkten interessante Hintergrundinformationen geliefert. Nur Schönes zu beschreiben, kam Marisa Burn mit der Zeit aber sinnlos vor. Sie wollte selber zur Macherin werden. Wollte Dinge entwerfen, die eine Seele haben, Freude bereiten und den Moment zelebrieren. Sie nennt sie Ankerprodukte. Produkte, wie etwa der Oberflächen-Reiniger «Holy Mountain», der Putzen zu einem achtsamen Erlebnis machen soll. «Denn putzen müssen wir schliesslich alle, warum also soll diese unliebsame Tätigkeit nicht auch Freude bereiten können?», sagt Marisa Burn.

Dass sie auch in Sachen Verkaufsstrategie ihren eigenen Weg beschreiten würde, lag auf der Hand. Wer ihre Bilder, Ohrringe, Kräuterteemischungen, Kleider und Putzmittel in einer anonymen Verkaufsecke eines Warenhauses anzutreffen glaubt, sucht vergebens. Die meisten Produkte vertreibt Marisa Burn über ihre eigenen Kanäle, via E-Shop oder auf ihrem regelmässig stattfindenden Burninglights-Market sowie auf ihrer Burninglights-Tour – die sie mitunter auch gemeinsam mit Kathrin Eckhardt veranstaltet. Denn die beiden Macherinnen haben viel gemeinsam und sind sich in einem Punkt vollkommen einig: «Wie ein Produkt verkauft wird, hat viel mit der Person zu tun, die dahintersteckt», sagt Marisa Burn. Dass die Käuferinnen den direkten Kontakt mit den Macherinnen zu schätzen wissen, wird an den Veranstaltungen von Burninglights spürbar.

Handwerk erlebbar gemacht

«Menschen waren schon immer an guter Ware interessiert. Wir haben uns in den vergangenen 50 Jahren einfach mehr und mehr von diesem Gedankengut entfernt.»

«Macht nicht zu viele Workshops!» riet man Regina Gregory und ihr Team als sie Mitten in den Vorbereitungen für ihr Festival  Festival Criterion – einem Festival für Design und Esskultur – steckte. Doch genau möglichst viel Interaktivität war ihre Absicht. «Wir wollten Entschleunigung bieten und Erlebnisse kreieren, an denen die Besucherinnen und Besucher selbst Hand anlegen können», sagt Regina Gregory. Ihre Rechnung ging auf: Trotz sommerlichen Temperaturen fanden sich in den Messehallen Zürich tausende Besucher ein, um selber ihre Messer zu schleifen, Keramik zu giessen, in der Ideenwerkstatt über Gedanken zu brüten oder der Kunst des schönen Schreibens auf die Schliche zu kommen. «Die Lust am Selbergestalten war riesig – kein einziger Workshop, kein Tasting, Podiumsgespräch oder keine Führung musste mangels Teilnehmer abgesagt werden, viele war komplett ausverkauft», sagt Regina Gregory. Zudem bekamen an der Criterion zahlreiche Macherinnen und Macher eine Plattform geboten, um ihre Kreationen vorzustellen: So konnte man etwa dabei zuschauen, wie Rossharmatratzen genäht wurden, wie Würmer in einem ausgeklügelten Mini-Ökossystem Gemüse kompostieren oder wie Schnaps gebrannt wird. «Gutes Handwerk macht glücklich» davon ist Regina Gregory überzeugt. An die These, dass die Wertigkeit eines Produkts aber erst neuerdings für die Leute von Interesse sein soll, glaubt sie nicht. Im Gegenteil: «Menschen waren schon immer an langlebiger, reparierfähiger Ware interessiert. Wir haben uns in den vergangenen 50 Jahren einfach mehr und mehr von diesem Gedankengut entfernt.» Doch vielen Konsumenten sei mittlerweile klargeworden, dass billig produzierte Massenware vor allem schnell zu einem wird: Abfall. Dass es das «weg» vom Wegwerfen gar nicht gibt. Und letztlich nicht mehr als eine perfide Verkaufsstrategie, um Kunden an sich zu binden, um defekte Billigware möglichst schnell wieder gegen neue einzutauschen.

Brutstätten der Zukunft

Die Trendwelle der Macher-Bewegung zeigt sich nunmehr seit ein paar Jahren auch von ihrer technischen, digitalen und äusserst wissenschaftlichen Seite. In Form von Tüftlerinnen, Visionären, Technik-Nerds und Erfindern. Und auch sie wollen letztlich vor allem eins: Ihr Wissen einsetzen, um die Welt ein Stückchen besser zu machen. Zu diesen öffentlichen Brutstätten für technische Erfindungen gehören sogenannte FabLabs, und eines davon steht auch in Bern. «Als wir vor sechs Jahren damit begonnen haben, unsere Türen zu öffnen – um in erster Linie unseren 3D-Drucker der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen – kamen vorwiegend Menschen vom Schlag der Modellbauer bei uns vorbei, um Flugzeuge oder Landschaften für Modelleisenbahnen nach ihren Vorstellungen zu kreieren», sagt Ramun Hofman, Co-Gründer des FabLabs in Bern. «Mittlerweile finden sich aber Tüftler und Handwerker aller Art bei uns ein, um kleine Produkteserien zu lancieren.» Darunter sind etwa Brillenbauer, Textildesigner oder auch Schneider. Für den FabLab-Betreiber selbst war es eine grosse Freude mitanzusehen, wie den Leuten mehr und mehr die Angst vor eigenen Fabrikationen genommen wurde, sobald sie sich mit den Gerätschaften, wie dem Laserschneider und 3D-Druckern vertraut gemacht hatten. «Die Leute schreiten richtig mutig zur Tat – rätseln an Produktelösungen, experimentieren mit Materialien und Formen», sagt Ramun Hofman und fügt an: «Seit unser Publikum zudem erkannt hat, dass man im Prinzip jedes Ersatzteil für ein defektes Produkt – sei es ein Möbelstück oder ein technisches Gerät – nachbilden kann, wächst auch die Repair-Szene stetig an.»

Just the Beginning

Millionen von Menschen haben sich weltweit auf den Weg gemacht. Als Macherinnen und Macher sind sie Teil des sogenannten «Maker-Movements» und gehen mitunter grosse Risiken ein, um eigene kleine Unternehmen zu gründen und sich mit der Herstellung und dem Verkauf von selbst hergestellten Produkten zu beschäftigen. Der demokratische Zugang zu Wissen und Technologie hat vieles vereinfacht und bei zahlreichen Menschen den Wunsch geweckt, wieder mehr Kontrolle über ihr Leben zu gewinnen; als Arbeiter und als Konsument. Dass sich dieser Wandel letztlich auch auf die Produzenten von Massenware auswirken wird, ist anzunehmen. Macher aller Art – vom Lebensmittelbereich über Handwerk bis hin zur Technologie – werden sich weiterhin gegenseitig vorantreiben, um neue, innovative Produkte und Dienstleistungen hervorzubringen. Denn: Die Macher-Bewegung hat eben erst begonnen.

FOTOGRAFIE: Alan MaagGiglio Pasqua