PERSPEKTIVEN
Oliver Herwig • 07.03.2019

Mach's Dir selbst!

Mitten in der Wegwerfgesellschaft ist die Reparatur plötzlich wieder voll im Trend. Das schont Geldbeutel und Umwelt. Ein Lob auf das Handwerk.

Schon eigenartig. Oft ist es preiswerter, etwas neu zu kaufen als es zu reparieren. Das gilt für Haushaltsgeräte wie für Mode. Manche T-Shirts wandern vom Grabbeltisch auf die Haut und am Abend direkt in die Mülltonne, weil sie niemand waschen will – und der Zehnerpack unglaublich preiswert ist. Reparaturen sind so schrecklich aufwendig. Angeblich liegen eine Milliarde Mobiltelefone alleine in den USA irgendwo in Schubladen rum, meldete der «Spiegel» bereits 2010. Die wenigsten sind kaputt, viele einfach nur aus der Mode gekommen. Wer Dinge heute reparieren will, kann ein blaues Wunder erleben. Hüllen kriegt man nur mit Spezialwerkzeug auf, Speicherchips sind mit der Hauptplatine verschweisst und selbst Auto-Motoren inzwischen eingekapselt. Dafür gehen Dinge immer wieder an der gleichen Stelle kaputt. Winzige Defekte sorgen dafür, dass teure Maschinen ihren Geist aufgeben. Wer niemanden kennt mit etwas Geschick, kann das gleiche Stück wieder neu kaufen. Obsoleszenz sagen Experten zu solchen Sollbruchstellen. Diese kurbeln das Neugeschäft immer wieder an. Doch können wir uns das eigentlich noch leisten, gesellschaftlich – und ökologisch?

Wegwerfen ist eine recht neue Sache in der Geschichte. Reparieren war früher ganz normal. Alles konnte irgendjemand irgendwie wieder zum Laufen bringen: Den Platten im Velo flickte man gefälligst selbst, die Hosen verzierte die Tante mit neuen Flicken am Knie, und wenn im Hobbykeller das eine oder andere Werkzeug fehlte, gab es ja noch den Cousin oder den Nachbarn oder den Freund eines Freundes, der es garantiert hatte. Wenn ein Markengerät kaputt ging, landete es nicht gleich in den Mülleimer oder auf den Wertstoffhof, sondern erhielt ein zweites Leben. Radio und Waschmaschine wurden gerichtet, die Truhe abgebeizt und neu lackiert. Gegenstände waren einfach zu kostbar, um sie nicht weiterzuverwenden. Eine regelrechte Sekundärindustrie flickte so ziemlich alles, was durch Haus und Garten geisterte.

Notorischer Mangel

Klingt nostalgisch bis verklärt. Dabei war Reparieren immer schon eine Tugend des Mangels – nicht der Fülle. Bis heute finden sich in Afrika geniale Improvisationskünstler, die Dinge flicken und möglichst lange am Laufen halten. Die DDR hatte sogenannte Komplexannahmestellen, in denen Haushaltsgeräte repariert, Kleider gereinigt und Schuhe geflickt wurden. Ein Rostocker erinnert sich: «Solche Annahmestellen gab es in fast jedem Stadtteil. Da wurde eben alles so hingeschafft, was an Haushaltgeräten kaputt ging – vom Regenschirm bis halt hin zum Staubsauger. Und nach vier Wochen holte man das Zeug aus der Reparatur wieder ab.» Keine Spur von Romantik also. Flicken war lange eine Notwendigkeit, die an keine bestimmte Gesellschaftsform gebunden war. Denn unsere Vorfahren hatten weder genug Geld noch Ressourcen, um Kaputtes sofort durch Neuwaren zu ersetzen. Dinge wurden in Ehren gehalten, gepflegt, gewartet und wieder auf Stand gesetzt. Löcher wurden geflickt, Risse gekittet, Strümpfe gestopft, Hosen ausbessert, Blech ausdengelt und Drähte gelötet.

Die Botschaft ist klar. Stopp, hier kommen nur noch Fachleute mit Spezialwerkzeugen ran. Ganz selbstverständliche Dinge wandeln sich zu Black Boxes.

Kluge Handanleger

Inzwischen erklären Entwicklungspsychologen, wie wichtig es sei, Dinge selbst zu zerlegen, zu warten und wieder zusammenzusetzen. Motto: Handwerken macht klug. Kinder verstehen einfach mehr, sie blicken hinter die Dinge, begreifen Zusammenhänge und gewinnen einen Eindruck davon, wie (analoge) Technik funktioniert. Zudem verlieren sie falschen Respekt vor Dingen, die unser Leben bestimmen.

Wer einmal einen PC aufschraubt, um eine Grafikkarte zu wechseln oder den Arbeitsspeicher aufzurüsten, und nichts als ein Chaos aus Drähten und Leitungen zwischen Platine und Festplatte vorfindet, verliert seinen Glauben an unbestechliche, ja präzise Berechnungen des Rechners. Dann sind es nicht mehr Geräte, denen wir ausgeliefert sind, dann wandeln sie sich zu nützlichen (und beherrschbaren) Werkzeugen, die wir nach Belieben verändern, anpassen oder notfalls ausschalten können, bevor sie Unheil anrichten. Es gibt noch immer viele Schrauber. Aber die Digitalwelt funktioniert nach eigenen Gesetzen. Updates werden aufgespielt und Funktionen freigeschaltet, während die Gehäuse beispielsweise der Apple-Welt verschweisst und abgeriegelt daherkommen. Die Botschaft ist klar. Stopp, hier kommen nur noch Fachleute mit Spezialwerkzeugen ran. Ganz selbstverständliche Dinge wandeln sich zu Black Boxes. Wir können sie bedienen, verstehen aber nicht mehr, was sich hinter der Nutzeroberfläche eigentlich abspielt. Das ist der Sieg der Convenience, sicher, aber im grösseren Massstab vielleicht nur ein Pyrrhussieg.

Alte Karren

In der Welt der Neuwaren gibt es eine einzige Ausnahme. Das Auto darf ruhig mal in die Werkstatt. Laut Statistik rücken die «Gelben Engel» alle acht Sekunden aus. Die rollenden Werkstätten des ADAC überprüfen die Elektronik, reparieren defekte Blinker, flicken hier und dellen dort aus. Manchmal erledigen sie sogar den Ölwechsel – und angeblich gar nicht so selten verabreichen sie gestrandeten Fahrern sogar einen guten Schluck Benzin, weil die gar nicht ans Tanken dachten. Bei ihren Einsätzen fallen allerhand Daten an. Die ADAC-Pannenstatistik ist daher so etwas wie die negative Misswahl der Branche. Sie zeigt, welche Marken öfter liegen blieben und welche Bauteile am häufigsten versagten. Die wenig überraschende Erkenntnis: Mit dem Alter des Fahrzeugs steigt sein Pannenrisiko. Liege die Pannenwahrscheinlichkeit bei einem drei Jahre alten Auto noch bei 1,7 Prozent, steige sie nach 13 Jahren auf 7,1 Prozent. Erst ab dem Youngtimer-Alter (20 Jahre) sinke die Pannenzahl wieder, «weil die alten Schätzchen besser gepflegt und weniger gefahren» würden. Zum Vergleich: Autos (in Deutschland) sind im Schnitt neuneinhalb Jahre alt, und sie werden immer aufwendiger in Stand gehalten: 1990 lagen die Wartungskosten bei rund 165 Euro, 2017 waren es bereits 275 Euro (Quelle: Statista). Natürlich wäre es jetzt spannend zu wissen, ob die Autos damals im Schnitt jünger waren, die Reparaturkosten einfach gestiegen sind oder ob die vielen Stellmotoren und die aufwändige Elektronik die Kosten nach oben treiben.

Es wird tendenziell weniger repariert, und das auf anderen Gebieten: statt Kurzwaren etwa Unterhaltungselektronik. Für 2022 schätzt Statista den Umsatz bei der «Reparatur von Telekommunikationsgeräten» auf 94,1 Millionen Euro. Denn gerade bei Handys gehen immer wieder Scheiben zu Bruch und machen Akkus schlapp. Mitunter liefern nur Drittanbieter die passenden Ersatzteile – weil die Grossen der Branche lieber Neukäufe hätten. So «produziert» jede(r) Mitteleuropäer(in) im Jahr rund 22 Kilo Elektroschrott.

Eine Statistik besagt, dass jede Reparatur die Lebensdauer des Gerätes um mindestens 30 Prozent verlängert und damit Energie und Kohlendioxid.

Trendiges Reparieren

Doch jeder Trend liefert seinen Gegentrend. Wenn immer mehr Menschen Dinge wegwerfen, nehmen sich andere umso mehr den kaputten Sachen an. Seit einigen Jahren fluten Bauanleitungen, Tipps und Hilfekurse durch das Netz. Es gibt Erklär-Videos, wie die Heizung zu entlüften ist, oder ein Fahrradsattel festgeschraubt werden kann, oder die Scheibenwischer ausgetauscht werden können. Selbsthilfe ist schwer im Kommen und wirkt wie ein zeitgemäßes Update für die gute alte DIY-Bewegung. Reparatur-Cafés (manchmal Repaircafé genannt) bringen Menschen zusammen, die sich sonst wohl nie getroffen hätten. Überall spriessen solche Initiativen aus dem Boden: Der «Repair Cafe Bern Verein» oder die «ReparierBAR Frick» verbinden gutes Gewissen, soziale Aktivität und nachhaltiges Denken. Eine Statistik besagt, dass jede Reparatur die Lebensdauer des Gerätes um mindestens 30 Prozent verlängert und damit Energie und Kohlendioxid (für die Herstellung des Ersatzes beziehungsweise den Transport) einspart. Dass in vielen Initiativen und Vereinen gute Stimmung herrscht und Menschen das Gefühl haben, etwas Sinnvolles zu tun, wirkt wie eine Sahnehaube auf dem Kuchen der ökologisch-sozialen Bewegung. Das haben manche Regierungen erkannt und fördern das Reparieren. Schweden etwa erlässt die Mehrwertsteuer bei nachgewiesenen Reparaturen. Und Österreich führte den sogenannten «Reparatur-Bonus» im September 2018 ein. Die steirische Landeshauptstadt Graz übernimmt die Hälfte der Kosten, wenn Bürger ihre Elektrogeräte von heimischen Technikern reparieren lassen. Eine erste Erhebung zeigt, dass bereits 21 Tonnen Elektroschrott eingespart wurden.

Geplanter Verschleiss

Die neue Reparatur- und Selbsthilfe-Bewegung gefällt nicht allen. «Um mehr elektrische Kleingeräte reparieren zu können, müsste man besser an Ersatzteile herankommen, man bräuchte Reparaturanleitungen und es müsste sich finanziell lohnen», schränkt die «Deutsche Handwerkszeitung» ein. An gleicher Stelle klagt Alexander Neuhäuser, dass vieles gar nicht auf Reparierbarkeit angelegt sei. Damit steht der Geschäftsführer Recht und Wirtschaft beim Zentralverband der Deutschen Elektro- und Informationstechnischen Handwerke (ZVEH) nicht allein.

Obsoleszenz heißt das Phänomen. Der geplante vorzeitige Verschleiss von Dingen, befördert durch kurze Produkt- und Modezyklen, geschieht durch bekannte Schwachstellen, die Geräte vorzeitig verschleissen oder zumindest optisch alt aussehen lassen. Es handelt sich um ein Vertriebs-Tool, das gleichbleibende Umsätze mit Ersatzbeschaffungen garantieren soll. Eines der bekanntesten und bestdokumentierten Fälle ist das sogenannte Phoebuskartell, das die Lebensdauer von Glühlampen auf 1000 Stunden begrenzte. «Um die Brenndauer der Glühlampen zu reduzieren und den Standard zu überwachen, wurde ein erheblicher technischer Aufwand betrieben», heisst es auf «wikipedia». 1942 verklagte die US-Regierung General Electric und andere Konzerne «wegen illegaler Preisabsprachen und unlauterem Wettbewerb». 1953 wurde General Electric verurteilt und «unter anderem die Reduzierung der Lebensdauer von Glühlampen verboten; zu einer geforderten Strafzahlung kam es jedoch nicht.»

Wenn Alexander Neuhäuser «mangelnde Reparierbarkeit» beklagt, bezieht er sich auf billige Importe zumeist aus Fernost. Freilich sieht der Geschäftsführer Recht und Wirtschaft sogar juristische Probleme bei Repair-Cafés, bei denen Handwerker kostenlos mitarbeiten: «Ist ein Fachhandwerker beteiligt, ist er, auch wenn er ehrenamtlich mithilft, in der Haftung.» Bislang freilich sei kein solcher Fall bekannt. Ein Fingerzeig gegenüber möglicher Konkurrenz? Oder doch eher Ausdruck dessen, dass Nutzer und Handwerker in einem Boot sitzen und von Produkten der Industrie abhängig bleiben, die reparierbar bleiben sollten.

Statt sich der Herrschaft der Obsoleszenz zu unterwerfen und immer mehr zu konsumieren, werden wir wieder zu aktiven Nutzern.

Zukunftsfreudige Ermöglicher

Dinge halten nicht ewig, und selbst die beste Reparatur zögert das Ende nur hinaus. Aber darum geht es gar nicht. Hinter Objekten verbergen sich immer Einstellungen. Pier Paolo Pasolini verfluchte bereits in den Siebziger Jahren den «Konsumismus» als eine neue Form des Totalitarismus. Der Regisseur, Autor und Intellektuelle fürchtete, dass die konsumgeprägte Massenkultur alles zerstören werde, vor allem aber soziale Lebensformen.

Es geht auch anders. Etwa mit dem Retail-and-Recovery-Programm von IKEA. Täglich werden rund 1.200 Artikel retourniert, sagte IKEA Recovery-Manager Hans Wegschaider 2016 im Interview mit «Lebenskonzepte». Die zurückgegebenen Produkte werden sortiert und gegebenenfalls wieder eingeschweisst und erneut verkauft. Es gibt immer mehr Geschäftsmodelle, Dinge zu vermieten statt zu verkaufen. Am Ende der Lebenszeit werden etwa cradle2cradle-Teppiche wieder zurückgenommen, zerlegt und zu neuen Teppichen versponnen. Das ist der intelligente Weg gegen den Zwang zum Konsum, gegen Sollbruchstellen, dünne Materialien und minderwertige Anschlüsse. Statt sich der Herrschaft der Obsoleszenz zu unterwerfen (die ebenso visuellen Verfall durch schnelle Moden einschliesst) und immer mehr zu konsumieren, werden wir wieder zu aktiven Nutzern. Wir leihen und reparieren. In der Gruppe Dinge wieder zum Laufen zu bringen, ist nicht nur nachhaltig, sondern macht vor allem Spass. Ist es nicht das, was uns die Konsumwelt einbläuen wollte? Have fun! Nun aber richtig.

Illustration: Josh Schaub