«Es gibt heutzutage kein wichtigeres Thema als Zukunft.»

Susanna Koeberle • 12.03.2019

Als Auftaktveranstaltung gelang ihnen 2018 ein kleines Kunststück: Mit dem ersten «Criterion Festival für eine Zukunft mit Zukunft» zogen die beiden Initiantinnen Regina Gregory und Mia Odermatt aus dem Stand heraus über 8’000 in die Messehalle in Oerlikon. In vierzehn Tagen findet die zweite Ausgabe statt, sie bietet eine breit gefächerte Inspirations- und Bezugsquelle für alle, die nach neuen Ideen suchen, die sich umsetzen, bewohnen, besitzen, geniessen oder tragen lassen. Und dies nachhaltig, lust- und genussvoll. Susanne Koeberle sprach mit den zwei treibenden Kräften hinter dem Festival.

Der Auftakt letztes Jahr traf den Zeitgeist, doch wie kam das «Criterion» Festival überhaupt zustande?

Regina Gregory: Wir bekamen vom Direktor der Messe Zürich den Auftrag, ein neues Format auszudenken. Der Ausgangspunkt war unser Wunsch, Veränderung in Gang zu bringen, denn Design-Messen gibt es in Zürich schon genug. Wir haben uns überlegt, wie man die Leute dazu bringen könnte, sich mit neuen Themen auseinanderzusetzen. Daraus kann neue Wertschätzung dafür entstehen, was wiederum Veränderung ermöglicht. Es geht darum, Lösungen aufzuzeigen für die grossen Herausforderungen unserer Zeit.

Wie findet man die «richtigen» Aussteller?

Mia Odermatt: «Criterion» ist ein kuratiertes Format. Wir haben letztes Jahr in kurzer Zeit viel recherchiert, was zwar zeitaufwendig, aber spannend ist. Neben dem Besuch von vielen anderen Formaten ist auch Instagram als Quelle interessant.

Regina Gregory: Wichtig dabei ist auch unser Creative Board von Experten. Sie sind für uns Seismographen, die Kontakte herstellen und Türen öffnen.

VLNR: Stoll (Shem Leupin), QWSTION, Mireille Lalive d’Epinay © Daniel Hager

Nun lanciert ihr ein neues Format, die «Zurich Maker Days». Was hat es mit dieser Erweiterung auf sich?

Mia Odermatt: Beim ersten «Criterion» Festival war das Rahmenprogramm sehr umfangreich. Und obwohl man uns von solchen interaktiven Formaten abgeraten hatte, wurden die Workshops und Talks, wo man erfahren, lernen und Hand anlegen konnte, gut besucht.

Regina Gregory: Es braucht eben nicht nur Leute, die Ideen haben, sondern auch ein aktives Publikum, damit diese Ideen eine Zukunft bekommen. Unser zweites Anliegen war, ein Kollektiv von Produzenten zu schaffen. Durch das Sichtbarmachen dieser Initiativen und Projekte entstehen neue Schnittstellen.

Das Hauptthema beider Formate ist die Zukunft des Konsumierens. Warum?

Mia Odermatt: Es gibt heutzutage kein wichtigeres Thema als Zukunft. Wenn wir uns bewusst werden, was für Produkte wir konsumieren, kann das schon viel Positives bewegen.

Regina Gregory: Es braucht einen Perspektivenwechsel, denn vielen Leuten ist die Lust am Konsumieren vergangen. Wir sind häufig überfordert. Zugleich gibt es so viele gute Ideen und Lösungen, die in der Umsetzung Spass machen und mehr Lebensqualität bedeuten. Das wollen wir den Leuten zeigen. Die Summe solcher Einzelinitiativen bewirkt schliesslich grosse Veränderungen.

Handwerk galt früher als verstaubt, heute ist es wieder hip. Wie geht das mit dem Digitalen zusammen?

Mia Odermatt: Ein schönes Beispiel: Die Manufaktur Fink webt ihre Stoffe noch von Hand. Für die Standgestaltung hat sie uns aber ein präzises 3D-Rendering abgeliefert. Das ist eine schöne Kombination von neusten Technologien und Handwerk.

Regina Gregory: Die Leute begreifen wieder, dass das Leben analog bleibt. Das Digitale ist ein gutes Hilfsmittel, aber es wird nie das Leben ersetzen. Der Austausch mit den Menschen, die hinter einem Produkt stehen, ist etwas Schönes, das hat man lange vergessen. Das heisst nicht, dass das Digitale nicht auch seine Berechtigung hat.

Criterion Festival 2018 © Stephan Sonderegger / Alan Maag

Ist die jüngere Generation denn empfänglicher für Themen wie Nachhaltigkeit oder bewusstes Konsumieren?

Mia Odermatt: Die neueren Klimademonstrationen sprechen schon dafür. Gleichzeitig ist dieses Thema auch an Bildung gebunden und es ist noch ein langer Weg zu gehen.

Regina Gregory: Ich denke schon. Lange konnte man wegschauen und es gab keine spürbaren Konsequenzen, gerade in einem Land wie der Schweiz. Die Naturkatastrophen finden weit weg statt. Aber die Probleme sind nicht mehr unsichtbar, wie man das etwa beim Plastik im Meer sieht. Veränderung braucht Zeit. Der erste Schritt ist das Zweifeln am eigenen Weltbild und da scheint sich etwas in Bewegung zu setzen.

Wie steht es um den wirtschaftlichen Aspekt? Können diese neuen Macher auch von ihren Erzeugnissen leben?

Mia Odermatt: Es gibt heute neue wirtschaftliche Modelle. Man hat nicht unbedingt einen 100-Prozent-Job, von dem man lebt. Ich beobachte, dass viele Makers mehrere Jobs haben.

Und wer kann sich diese teuren Produkte leisten?

Regina Gregory: Es braucht ein Umdenken. Die Sachen kosten vielleicht mehr, aber längerfristig gesehen, spart man, denn sie halten länger. Bei teureren Produkten sinkt zudem auch der Abfall. Das ist bei Bio-Kartoffeln so oder bei einem schönen Stück Papier, das ich aufbewahre, um es wieder zu verwenden. Es ist auch ok, wenn man sich nicht alles leisten kann. Es ist aus der Forschung längst bekannt, dass es glücklicher macht, wenn man auch mal auf etwas gespart hat.

Heute spricht man von Prosumenten, von produktiven Konsumenten. Welche Rolle spielen Workshops bei euch?

Regina Gregory: Eine sehr wichtige. Wir haben sowohl «Activity Spots» wie auch «Workstations». Viele Aussteller zeigen ihr Handwerk vor Ort. Damit möchten wir die Geschichte hinter dem Produkt sowie die Prozesse aufzeigen. Damit lenken wir den Fokus auch auf gesellschaftliche und umwelttechnische Themen.

Bei den «Zurich Maker Days» geht es um lokale Betriebe. Wie wichtig ist der Standort Zürich?

Regina Gregory: «Criterion» ist zwar ein nationales Format, aber die Verankerung in Zürich ist sehr wichtig. Wir stellen immer wieder fest, dass viele Leute aus dem Ausland ein völlig verstaubtes Bild von Zürich haben. Es gibt wenige Städte, die diese Kombination von Spitzenforschung und Designgeschichte haben. Zürich ist viel mehr als eine Finanzmetropole. Das wollen wir mit dem Vorevent, der zwei Wochen vor dem «Criterion» Festival stattfindet, zeigen.

Wie seid ihr selber auf diese Themen gekommen?

Regina Gregory: Bei mir war es die Erkenntnis, dass ich vieles falsch mache. Zum Beispiel ist mir plötzlich aufgefallen, dass ich in Kaufhäusern immer so gestresst bin. Seit ich in Quartierläden einkaufe, bin ich das nicht mehr. Man braucht solche Erfahrungen. Ich merke aber auch, dass ich noch mehr machen könnte. Es fühlt sich nicht gut an, wenn man weiss, dass das grösste Erbe, das wir hinterlassen, Zerstörung ist. Es ist besser, man beginnt heute damit, es anders zu machen. Denn die Zukunft ist schon da.

Mia Odermatt: Von all den Makers lernt man, dass es gar nicht so schwierig ist, eigene Produkte herzustellen. Das ist inspirierend. Ich habe etwa damit begonnen, selber Wollpullover zu stricken und lerne immer mehr, dass alles machbar ist.

Criterion Festival 2018 @ Stephan Sonderegger

Was macht ihr persönlich für mehr Nachhaltigkeit?

Mia Odermatt: Bei der Ernährung gilt für mich: so regional wie möglich. Ich habe ein Gemüseabo. Ich esse mit Bedacht Fleisch. Auch bei der Kleidung: Ich kaufe lokal gefertigte und langlebige Stücke. Fastfashion interessiert mich nicht mehr.

Regina Gregory: Mode ist ein gutes Beispiel. Ich habe da lange weggeschaut. Ich wusste nicht, wo ich die besseren Produkte finde. Das hat sich stark geändert. Ich habe mir zum Beispiel bei einer Ausstellerin von letztem Jahr erst kürzlich einen Herbstmantel massschneidern lassen. Er wird erst in einem halben Jahr geliefert und ich freue mich wie ein Kind darauf. Man muss die Sachen verfügbar haben, damit man etwas ändern kann.

Ihr sprecht ungern vom Begriff «Nachhaltigkeit». Warum?

Regina Gregory: Dieses Wort ist verbraucht. Nachhaltigkeit klingt oft nach Verzicht. Produkte hingegen, die ihre Umwelt miteinbeziehen, durchdacht sind und ein ansprechendes Design haben, erachten wir als zukunftsfähig. Es sind die besseren Produkte und dürfen deswegen auch ihren Preis haben. Daher gefällt uns das Wort «zukunftsfähig» besser.

Was sind eure Visionen und Ziele für das Festival?

Regina Gregory: Zukunft mit Zukunft ist unser Hauptthema. Wir möchten dazu beitragen, das System zu bewegen und eine neue Stimmung zu verbreiten. Es geht uns auch um den Austausch von Ideen, nicht nur um eine Plattform für Produkte.

Mia Odermatt: Uns liegt es am Herzen, nicht nur regional zu inspirieren. Es gibt auch viele spannende Ideen und Innovationen im Ausland, die wir nach Zürich bringen möchten.