Die Stadt
der Zukunft







Perspektiven
GIULIA BERNARDI • 04.12.2018

Die Urbanisierung stellt Städte vor neue Herausforderungen: Der Ressourcenverbrauch nimmt zu, die Anforderungen an Infrastruktur und Mobilität verändern sich. In sogenannten «Smart Cities» soll mithilfe intelligenter Technologien der urbane Lebensraum nachhaltiger gestalten werden.

Überfüllte Abfalleimer, unnötige Rundfahrten, um einen geeigneten Parkplatz zu finden. Diese Probleme kennen wir alle. Das kostet nicht nur Nerven, sondern auch ökonomische und ökologische Ressourcen.

Entwicklungskonzepte wie jenes der «Smart City» suchen nach geeigneten Lösungswegen, um solche Probleme zukünftig zu vermeiden. Als «Smart Cities» gelten Städte, in denen digitale Technologien eingesetzt werden, um einerseits die Lebensqualität der Bevölkerung zu verbessern und andererseits einen schonenderen Umgang mit Ressourcen zu ermöglichen. So soll beispielsweise durch Sensoren, die den Füllstand von Abfalleimern messen oder Informationen über den Belegungsstatus von Parkplätzen liefern, die Sammelroute der öffentlichen Müllabfuhr beziehungsweise das Verkehrsaufkommen optimiert werden.

Solche Massnahmen bringen nicht nur persönliche Vorteile mit sich, sondern sie sind auch in Anbetracht der zunehmenden Urbanisierung ein notwendiger Schritt. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen werden 2050 rund zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben; davon werden vor allem Länder wie Indien, China und Nigeria betroffen sein. In den Schweizer Städten wird die Anzahl an Einwohnerinnen und Einwohnern um etwa 10 Prozent ansteigen.

Diese Entwicklung stellt Städte weltweit vor neue Herausforderungen: Durch die wachsende Bevölkerung werden Ressourcenverbrauch und Verkehrsaufkommen zunehmen und auch die Anforderungen an Lebensraum, Infrastruktur und Mobilität werden sich im Zuge der Urbanisierung verändern.

John Wilmoth, Leiter der Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen, sieht die Urbanisierung nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Chance: Denn sie veranlasst Entscheidungsträgerinnen und -träger, den urbanen Lebensraum den neuen Bedingungen entsprechend zu gestalten und politische Rahmenbedingungen zu schaffen, um kosten- und ressourcenschonender zu handeln.

Von der Energiestadt zur «Smart City»

Seit Anfang der 2000er-Jahre werden jene Städte als «Smart Cities» bezeichnet, die Informations- und Kommunikationssysteme intelligent vernetzen und so eine hohe Lebensqualität bei minimalem Ressourcenverbrauch ermöglichen. Eine einheitliche Definition gäbe es allerdings nicht, sagt Benjamin Szemkus, Programmleiter von Smart City Schweiz. «Smart City soll weniger als starrer Begriff, sondern vielmehr als Entwicklungsprozess verstanden werden, den jede Stadt für sich definiert.» Schliesslich sei jede Stadt demografisch, architektonisch als auch kulturell an andere Gegebenheiten gebunden.

In der Schweiz finden Smart-City-Strategien bereits seit einigen Jahren Anwendung. 2012 initiierte das Bundesamt für Energie das Förderprogramm Smart City Schweiz. Ausgangspunkt waren die sogenannten Energiestädte, die sich für erneuerbare Energien und einen schonenden Umgang mit Ressourcen engagieren. Dieses Engagement soll im Rahmen des Programms durch smarte Technologien erweitert werden. Denn nachhaltig zu handeln bedeutet auch zu überprüfen, wie wirksam die energiepolitischen Massnahmen tatsächlich sind. Dies ermöglichen beispielsweise sogenannte Smart Grids: intelligente Daten- und Elektrizitätsnetze, die den Stromverbrauch ausbalancieren, indem sie Energie speichern und, je nach Bedarf, verteilen.

«Smart City soll weniger als starrer Begriff, sondern vielmehr als Entwicklungsprozess verstanden werden, den jede Stadt für sich definiert.»

Benjamin Szemkus

Integrierter Bestandteil der Smart Grids sind die Smart Meters, intelligente Messinstrumente, mit denen bis 2027 mindestens 80 Prozent der Schweizer Haushalteausgestattet werden sollen. Die Informationen über den Stromverbrauch werden einerseits den Konsumentinnen und Konsumenten übermittelt, andererseits dem Energieversorger, der dadurch entsprechende Prognosen treffen kann. Die Ausbalancierung und Umverteilung des Stromverbrauchs, die durch zuverlässige Prognosen gewährleistet werden soll, wird in Zukunft immer wichtiger: Durch die Verwendung erneuerbarer Energien wird die Stromproduktion nicht mehr aus zentral steuerbaren Kernkraftwerken kommen, sondern zunehmend dezentral organisiert sein.

Auch öffentliche Transportunternehmen wie die SBBnutzen die Vorzüge, die ein Smart Grid bietet. Während der stark frequentierten Pendlerzeiten kommen zusätzliche Wagen und Züge zum Einsatz, was den Leistungsbedarf erhöht. In solchen Situationen schaltet eine Software die Heizungen für kurze Zeit aus. So wird der Energieverbrauch um einige Sekunden bis maximal zwei Minuten verschoben, ohne das Wohlbefinden der Reisenden zu beeinträchtigen.

Smart City St.Gallen, © Stadt St.Gallen

Smart City, Responsive City

Smarte Technologien gewährleisten nicht nur einen nachhaltigeren Umgang mit Ressourcen, sondern ermöglichen es auch, das Stadtleben vernetzter und interaktiver zu gestalten. Ein Beispiel dafür ist das Quartier Remishueb in St. Gallen, das seit einigen Jahren zum Smart-City-Areal ausgebaut wird. Im Rahmen verschiedener Workshops konnten die Bewohnerinnen und Bewohner das Quartier aktiv mitgestalten; daraus entstand mitunter die Remis-App, die als digitale Plattform für die Anliegen der rund 850 Bewohnenden dient. Die Entwicklung hin zu einer smarten Stadt und die Suche nach neuen Formen der Partizipation ist auch Bestandteil der Legislaturziele 2017–2020 der Stadt St. Gallen. «Momentan erarbeiten wir ein neues städtisches Partizipationsreglement, das bis 2020 fertiggestellt werden soll», sagt Christian Geiger, Digitalchef der Stadt St. Gallen. Um auch kommunale und kantonale Daten öffentlich zugänglich zu machen, wird unter anderem eine Open-Data-Plattform aufgebaut. Diese soll einerseits die Aktivitäten von Politik und Verwaltung transparent machen und andererseits die Bevölkerung bei der Partizipation an politischen Prozessen unterstützen.

Remishueb Solaranlage, ©Genossenschaftsverband Höchst-Remishueb

Ähnliche Projekte finden sich auch in anderen Schweizer Städten. Seit 2007 werden im Basler Quartier Erlenmatt auf der Grundlage architektonischer Studienaufträge und Wettbewerbe neue Gebäude gebaut. Ähnlich wird auch für das Quartier Wolf Basel vorgegangen, das momentan in Planung ist. In Zürich sind im Rahmen der Strategie Digitale Verwaltung 2018–2023 immer mehr Dienste online verfügbar. So können beispielsweise über die App Züri wie neu Schäden an der Infrastruktur gemeldet werden.

Die Bedeutung partizipativer Massnahmen betont auch Gerhard Schmitt, Professor für Informationsarchitektur an der ETH Zürich. «‹Smart Cities› sind nur der Anfang. Sozusagen der erste Schritt hin zur ‹Responsive City›», beschreibt er im Frühjahr 2017 im Rahmen eines Interviews mit der Handelszeitung. «Das Konzept der intelligenten Stadt greift zu kurz und ist zu technisch definiert. Es ist elementar, dass die Bürger wieder aktiv als Wissensquelle und Entscheidungsträger in den Prozess einbezogen werden.»

So kann durch Beteiligung und Teilhabe nicht nur das Interesse an politischen Entscheidungen und am gemeinschaftlichen Zusammenleben gefördert werden, sondern auch das Verständnis und die Akzeptanz in Hinblick auf Smart-City-Strategien. Dies scheint insbesondere bei Themen wie Datenschutz sowie Interessen- und Machtverteilungen wichtig.

«‹Smart Cities› sind nur der Anfang. Sozusagen der erste Schritt hin zur ‹Responsive City›. Das Konzept der intelligenten Stadt greift zu kurz und ist zu technisch definiert. Es ist elementar, dass die Bürger wieder aktiv als Wissensquelle und Entscheidungsträger in den Prozess einbezogen werden.»

Gerhard Schmitt,
Professor für Informationsarchitektur an der ETH Zürich

Smarte Strategien

Über die Interessen- und Machtverteilungen im Rahmen von Smart-City-Projekten spricht auch Harald Heinrichs, Professor für Nachhaltigkeit und Politik an der Leuphana Universität Lüneburg. Die Projekte sollten nicht einzelnen Unternehmen dienen, um ihre Technologien an die Städte zu verkaufen, sondern den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen und letztendlich zu mehr sozialer, ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit führen. Intelligente Technologien sind demnach nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck anzusehen. Um dies zu gewährleisten, brauche es laut Heinrichs einerseits globale Nachhaltigkeitsstrategien und -ziele, andererseits ein Umdenken in Organisationskulturen und -strukturen, um die Bevölkerung stärker einzubinden. Solche Bestreben sind nicht nur in der Schweiz ersichtlich, durch partizipative Quartiere oder Open-Data-Plattformen, sondern auch europaweit. In Wien soll Aspern Seestadt bis 2028 zu einem smarten Stadtteil entwickelt werden. Im Rahmen des Forschungsprogramms wird der Stadtteil zu einem Smart Urban Lab, in dem neue Technologien und Lösungsvorschläge erforscht und vor Ort getestet werden können.

Die fortschreitende Urbanisierung betont die Notwendigkeit solcher Projekte. Denn um die Herausforderungen zu meistern, die diese mit sich bringt, braucht es nicht nur smarte Technologien, sondern auch smarte Strategien.

In Wien soll Aspern Seestadt bis 2028 zu einem smarten Stadtteil entwickelt werden.

Fotografie / Grafiken: Stadt St.Gallen, Genossenschaftsverband Höchst-Remishueb, Wien 3420 aspern Development AG, Daniel Hawelka (Aspern Seestadt Wien)