Sharing Economy – Teilen, Leihen, Mieten. Wir entdecken gerade ein neues Lebensgefühl.

Sabina Galbiati • 31.01.2019

Dinge zu teilen statt zu kaufen wird in der Schweiz immer populärer. Doch wie nachhaltig ist das wirklich und warum zelebrieren gerade die wohlhabenden Schweizer das neue Lebensgefühl des Teilens?

Eine Party schmeissen ohne Geschirr, zelten ohne eine Ausrüstung oder böötlen auf der Aare ohne ein Gummiboot zu besitzen. In der Sharing-Welt leihen wir uns Dinge einfach aus, teilen sie mit dem Nachbar oder mieten sie für einen Tag oder einen Monat. Du bist, was du teilst – schönes neues Lebensgefühl.

Ob via Handy oder zu Hause am Laptop, dank der Digitalisierung unseres Alltags teilen und mieten wir Dinge so einfach wie nie zuvor. Egal ob die Ferienwohnung, Umzugskisten für die nächste Züglete oder das E-Bike, nicht nur junge Menschen wollen teilen statt besitzen. Sharing Economy wird immer populärer. So nutzen bereits über 55 Prozent der Schweizer Angebote aus der Sharing Economy, wie eine Studie von Deloitte zeigt.

Auch wenn viele Sharing-Plattformen noch keinen Gewinn machen, so profitieren sie doch vom Fahrtwind der bekannten Plattformen Airbnb und Uber. Sie haben uns gezeigt, wie einfach das Teilen und Leihen sein kann. Heute teilen wir nicht mehr nur Auto und Wohnung, sondern Güter und Dienstleistungen jeder Art.

Der Begriff Sharing Economy kam zwar erst 2008 auf: Doch neu ist die Idee des Teilens keineswegs. Unsere Grosseltern teilten aus Budgetgründen Waschmaschinen, Kühlschränke und Werkzeug. Das gute, alte Autostoppen, das wir – wenn überhaupt – nur noch aus Kindertagen kennen, haben Mitfahrdienste wie Blablacar oder Sharoo übernommen. Heute stöppeln wir quasi per Mausklick. Brauchen wir doch mal ein Auto, ist Mobility mit seinen roten Flitzern zur Stelle – und das schon seit 1997.

Vom Bohren und Sitzen auf Zeit

Hat sich das Teilen im Bereich Mobilität und Reisen längst etabliert, so gewinnt die Sharing Economy im Bereich Living erst an Fahrt und das insbesondere in der Schweiz. Erst Anfang Dezember 2018 hat die Stiftung für Konsumentenschutz die erste Leihbar der Schweiz eröffnet. Zu einem Preis von einem Kaffee pro Monat kann hier jeder ausleihen, was er gerade braucht, vom Geschirrset für die Party bis zum Gummiboot oder Outdoor-Beamer für einen aussergewöhnlichen Kinoabend.

Anderes Beispiel: Der Sharing-Pionier Pumpipumpe.ch. Der Verein wurde 2012 in Bern gegründet, noch vor Airbnb und ist heute europaweit tätig: Konnte die Community bisher nur Kleber bestellen, die auf dem eigenen Briefkasten anzeigen, was der Nachbar sich ausleihen kann, steht heute eine digitale Map zur Verfügung. Mit wenigen Klicks findet der Suchende heraus, welche Nachbarn in seinem Quartier etwas ausleihen. Ein Schritt in die Zukunft, den der Verein Ende 2017 gemacht hat. Wenn es um mieten und vermieten geht, hat sich die Plattform Sharely.ch in der Schweiz inzwischen einen Namen gemacht. Sie zählt bereits 15’000 Nutzer, die ihren Besitz teilen oder etwas mieten möchten und täglich kommen neue User und Objekte dazu. «Die Dynamik auf Sharely hat sich deutlich beschleunigt und wenn es so weitergeht, sollten wir Ende 2020 die Gewinnschwelle schaffen», sagt Sharely-Gründer Andreas Amstutz. Erst im vergangenen Jahr hat Sharely seine Sharing-App lanciert. Ein wichtiger Schritt, um die Sharing-Community besser zu erreichen und einer, den das Start-Up genau zum richtigen Zeitpunkt gemacht hat.

Denn immer mehr Menschen entdecken den Minimalismus als Lebensstil für sich. Sie wollen nicht besitzen, sondern leihen sich aus, was sie gerade brauchen. «Inzwischen ist die Sharing Economy „erwachsener“ geworden, die Nutzer wissen, was eine Peer-to-Peer-Plattform ist und sehen das Mieten und Vermieten von Gegenständen deutlich entspannter als in den Anfängen», sagt Amstutz. Zudem wächst in der Schweiz das Bewusstsein für Nachhaltigkeit und die Sharing Economy wird als Teil der Lösung im Kampf gegen den Klimawandel gehandelt.

Die zwei Gesichter des Teilens

Allerdings hat die Nachhaltigkeits-Medaille zwei Seiten und die eine davon ist alles andere als glänzend. Denn wer teilt, spart nicht nur Ressourcen, sondern eben auch Bares. «Wird das gesparte Geld für andere Dinge ausgegeben, etwa für einen Kurztrip nach London, ist der Nachhaltigkeits-Effekt dahin», sagt Martin Peter. Er ist Bereichsleiter Wirtschaft und Umwelt beim Forschungsinstitut Infras und Mitautor der Studie «Sharing Economy – teilen statt besitzen». «Im Extremfall kann Sharing Economy im Gesamteffekt auch zu einer Zunahme des Ressourcenverbrauchs führen», erklärt Peter und gibt ein Beispiel. Zwar sei es ressourcenschonend, wenn sich Nachbarn einen Rasenmäher teilen würden, statt dass jeder einen eigenen kauft. «Für den Gesamteffekt ist aber entscheidend, was mit dem Geld geschieht, das die Personen dabei sparen.» Wird dank Sharing mehr anderes konsumiert, das einen höheren Ressourcenverbrauch aufweist als eben die nicht gekauften Rasenmäher – sei es nun der zusätzliche Heissluftballonflug oder der grössere LED-Fernseher – dann werden mit der Sharing Economy mehr Ressourcen verbraucht statt weniger. «Gerade in der Schweiz ermöglicht das hohe Durchschnittseinkommen ein solches Verhalten.» Für Peter ist klar: «Damit das Teilen und Leihen wirklich Ressourcen schont und Teil eines nachhaltigen Konsums wird, braucht es ein Umdenken hin zu einem bewussteren Umgang mit unseren Ressourcen.»

Einer, der das genauso sieht, ist Raffael Wüthrich. Er ist Projektleiter der Leihbar und bei der Stiftung für Konsumentenschutz zuständig für den Bereich Nachhaltigkeit. «Ob die Sharing Economy in der Schweiz tatsächlich im grossen Stil dazu beiträgt, Ressourcen zu schonen, da bin ich skeptisch», sagt Wüthrich. «In der Schweiz können sich viele Menschen praktisch alles leisten.» Da passiere es schnell, dass man Dinge ausleihe und mit dem gesparten Geld den nächsten Billigflug finanziere. «Mit dem Projekt Leihbar wollen wir dieser Konsum-Mentalität entgegenwirken – ohne Wohlstandsverlust.» Erste Erfahrungen würden zwar zeigen, dass vor allem Leute Dinge ausleihen, die bereits sehr affin sind, wenn es um nachhaltigen Konsum gehe. «Aber wir wollen mit der Leihbar ein viel breiteres Publikum ansprechen und einen nachhaltigen Lebensstil vermitteln.»

40, männlich, gebildet, sucht

Doch was ist das für ein Publikum, das bereit ist, zu teilen und auszuleihen? In der Studie «Sharing Economy – teilen statt besitzen» sind die Autoren unter anderem genau dieser Frage nachgegangen. So sind Männer eher bereit zu sharen als Frauen. Zudem sind 36- bis 55-Jährige am ehesten bereit zu teilen und auszuleihen. Zwei weitere Eigenschaften: Wer wirklich gut verdient und einen Uniabschluss – sprich eine gute Ausbildung – hat, leiht sich auch lieber mal was aus, statt es zu kaufen, oder vermietet seine Zeltausrüstung.

Städter wollen den Nachbar wieder kennen

Ein Schub für die Sharing Economy könnte noch aus einer anderen Richtung kommen: Städter wollen ihre Nachbarn wieder besser kennen. «Für die Städter, die sich in ihrem Quartier vernetzen wollen und die Nähe suchen, gleichzeitig aber global unterwegs und vernetzt sind, für die sind Plattformen wie Pumpipumpe.ch ideal», sagt Martin Peter.

Obwohl die Voraussetzungen in der Schweiz ganz gut passen, ist der Sharing-Markt noch überschaubar. Die Sharing Economy hat hierzulande aber definitiv Chancen. Die Leihbar in Bern beispielsweise ist ein Pilotprojekt, das die Stiftung für Konsumentenschutz in jeder Schweizer Stadt umsetzen will, sofern das Experiment in Bern erfolgreich ist. Auch Pumpipumpe.ch kann dank des neuen digitalen Zugangs zu Nachbars Schlitten oder Bohrer viel mehr Menschen erreichen.

Kaufst du noch oder vertraust du schon?

Der Erfolg der Sharing Economy hängt nicht nur von unserer Wohnsituation, Bildung oder unserem Einkommen ab, sondern auch vom Vertrauen zwischen Mieter und Vermieter. Das Vertrauen in den «Geschäftspartner» spielt eine zentrale Rolle, wie die Studie «Sharing Economy – teilen statt besitzen» zeigt. Leihen wir uns die Zeltausrüstung für den nächsten Campingtrip aus, müssen wir darauf vertrauen, dass sie intakt ist und es nicht plötzlich durchs Zelt regnet. Umgekehrt muss der Vermieter darauf vertrauen, dass die Ausrüstung noch ganz ist, wenn wir sie zurückbringen. Das kann niemand zu 100 Prozent garantieren. Digitale Bewertungssysteme für Anbieter und Nachfrager können hier Abhilfe schaffen. Dennoch müssen beide Seiten bereit sein, ein Risiko einzugehen. Und schliesslich müssen wir uns in Geduld üben, denn in der Sharing Economy ist die Campingausrüstung manchmal bereits ausgeliehen.

Keine Frage:

Mit dem richtigen Angebot an Sharing-Plattformen, unserem Vertrauen und unserer Risikobereitschaft kann die Sharing Economy eine Form des nachhaltigen Konsums werden. Dazu braucht es allerdings auch ein Umdenken in der Gesellschaft.

Fotografie: Matthias Luggen