Fluch oder Segen?

Ariana Pradal • 21.06.2018

Die Suche nach nachhaltigen Materialien beschäftigt sowohl Designer wie Hersteller. Aus welchen Rohstoffen lassen sich Produkte fertigen, die von der Ernte bis zur Entsorgung möglichst keinen Fussabdruck hinterlassen? Gibt es sogar Rohstoffe, deren Nutzung einen Segen bedeutet?

Sie ist wunderschön und doch eine Plage. In ihrem natürlichen Umfeld reinigt sie das Wasser. Ohne Feinde aber breitet sie sich rapide aus, überwuchert Wasseroberflächen und bringt das Ökosystem von Seen und Flüssen zum Erliegen. Wasserhyazinthen sind freischwimmende Pflanzen mit lila Blüten, dicken Blättern und einem Stiel, der geerntet und getrocknet für die Herstellung von Produkten verwendet werden kann.

Die ursprünglich aus den tropischen Gewässern Südamerikas stammende Pflanze wurde wegen ihrer schönen Blüte in andere Länder exportiert, wo sie als Zierpflanze für Teiche und Seen gedacht war. Doch ohne natürlichen Feind verdoppelt sich eine Pflanze in rund sieben Tagen und breitet sich somit unendlich schnell, unendlich weit aus. Sie verstopft Wasserwege für Schiffe, das Wasser fliesst langsamer, und der Sauerstoffgehalt kann so tief sinken, dass Fische und Schildkröten deswegen sterben. Die Wasserhyazinthe gilt heute in weiten Teilen Asiens und Afrikas als Plage, deren Ausbreitung kaum aufgehalten werde kann.

Wasserhyazinthen im Einsatz

Genauso wie andere natürliche Fasern tropischer Gegenden werden auch Wasserhyazinthen in ländlichen Regionen seit Jahrzehnten für die Herstellung kleiner Objekte wie Matten oder Körbe für den lokalen Markt verwendet. Die Pflanzen werden vom Schiff aus geerntet, die Wurzeln, Blüten und Blätter abgeschnitten und die Stiele dann an Land zum Trocknen ausgebreitet. Die maximal 80 Zentimeter langen Stiele bekommen dabei ihre natürlich anmutende, braune Farbe. Sie sind weich und lassen sich gut flechten. Die meisten Objekte werden noch heute von Hand hergestellt, weil sich die kurze Faser nicht für die industrielle Herstellung eignet. Nebst kleinen flachen Objekten, entstehen aus Wasserhyazinthe auch grössere Produkte wie Liegen oder Kommoden. Hierfür braucht es ein Gestell aus Metall oder Holz, das mit der Faser von den Handwerkern umflochten wird.

Ikea hat 1996 als eines der weltweit ersten Unternehmen damit begonnen, Wasserhyazinthen im grossen Stil für die Produktion von Accessoires und Möbeln zu verwenden. Geerntet und verarbeitet werden die Pflanzen dafür vor allem im Delta des Mekong-Flusses in Vietnam. Ähnlich wie Bambus wächst die Pflanze schnell und da sie bereits im Wasser wächst, braucht sie – anders als zum Beispiel Baumwolle – kein zusätzliches Wasser zur Bewässerung.

Ein natürlicher Rohstoff mit Potential? Eigentlich ja. Doch hier folgt der Haken.

Alle Unternehmen, die Wasserhyazinthen im grossen Stil verwenden, machen aus dem natürlichen Material Ökoschrott. Denn durch die im Verarbeitungsprozess verwendeten Materialien wie zum Beispiel Acryllack oder Polyester, ist die natürliche Faser nicht mehr biologisch abbaubar. Auch können die Bestandteile der Produkte dadurch nicht getrennt werden. Der natürliche Rohstoff ist nach Ablauf seiner Verwendung als Serviettenhalter oder Korb unbrauchbar geworden. Nun jedoch nicht mehr als Unkraut, sondern als Abfall belastet die Wasserhyazinthe die Umwelt wieder.

 

Natürliche oder künstliche Fasern?

Das Credo: «Natürliche Fasern sind gut, künstliche schlecht», stimmt so nicht. Denn wie das oben aufgeführte Beispiel zeigt, sind natürliche Fasern nach der Weiterverarbeitung zum fertigen Objekt teils gar nicht mehr ökologisch. Der Geschäftsführer von EPEA Switzerland, Albin Kälin, der sich für die Kreislaufwirtschaft einsetzt, bringt es so auf den Punkt: «Ob sich ein Produkt biologisch rückstandsfrei zersetzt, hängt nicht davon ab, ob es aus Erdöl oder einer Pflanze gefertigt ist, sondern von seiner chemischen Beschaffenheit. Wir benutzen heute in fast allen industriell gefertigten Erzeugnissen eine Vielzahl von chemischen Komponenten, die das Produkt angenehmer machen. Aber diese sind oft giftig. Bessere Alternativen zu finden, kostet viel Arbeit.»

Wie schätzen die Menschen vor Ort im Mekongdelta die Verwendung von Wasserhyazinthen ein? Trinh Thi Long ist Programmkoordinatorin für Wasserprojekte bei WWF Vietnam und auch zuständig für das Mekongdelta. Ihre Antwort auf meine Frage: «WWF Vietnam unterstützt die Verwendung dieser invasiven Pflanzen als Material für Accessoires und Möbel. Denn Wasserhyazinthen zerstören die Biodiversität. Wenn Wasserhyazinthen als Material verwendet werden, hilft dies, die weitere Ausdehnung einzudämmen. Die Pflanze wird dadurch nicht ausgerottet, aber besser kontrolliert.» Trinh Thi Long erwähnt einen weiteren Aspekt. Aus ökologischer Sicht sei es sinnvoll, schnellwachsende Pflanze für die Produktion einzusetzen – anstatt solcher, die Jahrzehnte brauchen, um zu wachsen.

Längerfristig muss das Ziel für alle Unternehmen sein, dass wir Produkte von Beginn anschadstofffrei entwerfen. Sie sollten am Ende ihres Lebenszyklus entweder vollständig wiederverwertet oder biologisch rückstandsfrei abgebaut werden können. Dann fügen wir mit unseren wirtschaftlichen Aktivitäten und unserem Konsum der Umwelt keinen Schaden zu. Bis wir so weit sind, braucht es noch ein paar Jahre oder vielleicht eher Jahrzehnte. Aber immer mehr Unternehmen werden sich der Tatsache bewusst, dass der Weg für die Wirtschaft in diese Richtung zeigt.

Beim Profi nachgefragt

Bogna Czeska ist bei Ikea in Schweden für die Neuentwicklung von Produkten aus natürlichen Fasern zuständig. Zusammen mit ihrem Team betreut sie auch die Herstellung von Objekten aus Wasserhyazinthen. Sie gibt im Interview einen Überblick zum Stand der Dinge bei Ikea im Umgang mit diesem natürlichen Rohstoff.

Wieso hat IKEA 1996 mit der Grossproduktion von Wohnobjekten aus Wasserhyazinthen begonnen?

Bogna Czeska: Damals habe ich noch nicht für Ikea gearbeitet, und die Anfänge sind nicht gut dokumentiert. Aber was wir sagen können ist, dass man dieses Material damals im Mekongdelta in Vietnam vorgefunden hat. Es war reichlich vorhanden, wurde aber nicht genutzt und hatte somit einen sehr niedrigen Preis. Der Einsatz des Materials hatte viele Vorteile:
• gute Produkte zu einem günstigen Preis
• Unterstützung der Menschen im Mekongdelta durch Arbeit
• positive Auswirkung auf die Umwelt, da die Pflanze immer wieder entfernt wird.
Auch heute sind wir noch immer auf der Suche nach weiteren natürlichen Fasern, die noch nicht in grossem Stil für Wohnobjekte verwendet werden. In den nächsten Jahren werden wir laufend neue Objekte aus bisher ungenutzten, natürlichen Rohstoffen vorstellen.

Sind die Menschen im Mekongdelta froh, dass die invasive Wasserhyazinthe, die vielerorts eine Plage darstellt, für die Produktion genutzt wird?

BC: In den ersten zehn Jahren waren die Menschen froh, dass die Pflanze verwendet wurde. Heute sieht die Situation anders aus. Es gibt heute sogar Plantagen, weil der Verkauf der Ernte für die Menschen vor Ort ein gutes Geschäft ist.

Dann ist die Wasserhyazinthe vor Ort keine Plage?

BC: Wenn Wasserhyazinthen bis etwa 50 Prozent der Wasseroberfläche eines Gewässers bedecken, dann reinigen sie das Wasser. Wenn die Pflanze aber einen Grossteil eines Gewässers bedeckt, kommt die Sonne nicht mehr durch die Wasseroberfläche. Dies führt längerfristig zu Wasserverschmutzung und zum Fischsterben. Aber in kleinen Mengen leistet die Pflanze einen guten Dienst. Deswegen wird sie auch auf Fischfarmen teilweise für die natürliche Wasserreinigung eingesetzt.

Gibt es im Mekongdelta staatliche Initiativen oder NGOs, die sich um die Verwendung von Wasserhyazinthen kümmern?

BC: Der vietnamesische Staat lässt Wasserwege von Wasserhyazinthen räumen, damit die Schiffe durchfahren können. Mehr geschieht vor Ort aber nicht.

Sind die Produkte, die IKEA aus Wasserhyazinthen verkauft zu 100 % biologisch abbaubar?

BC: Nein, das sind sie – noch – nicht. Tatsächlich wird die Oberfläche aller Objekte mit einem Lack behandelt, der sie vor Fäulnis und Insekten schützt. Und dieser Lack ist nicht biologisch abbaubar. Aber er zersetzt sich im Vergleich zu Plastik viel schneller. Zusammen mit der Industrie sind wir dabei, ökologischere Lacke zu entwickeln. Aber wir sind noch nicht dort, wo wir gerne sein würden.

Letzte Frage: Die bisherigen Objekte in der Kollektion von IKEA wirken eher traditionell. Könnte man mit dieser Faser auch Objekte gestalten, die zeitgenössischer wirken?

BC: Ja durchaus. Das Material hat gewisse Grenzen, wie man es verwenden kann und die muss man berücksichtigen. Aber der Gullholmen Schaukelstuhl aus Bananenstaudenfasern und seinem modernen Aussehen wäre durchaus auch aus Wasserhyazinthen herstellbar.