Ein Regal aus Textilabfällen

Susanna Koeberle • 26.04.2018

Als Reaktion auf das weltweit akute Abfallproblem riefen Wickie Meier Engström, Klaus Samsøe und Ole Smedegaard das Projekt «Really: circular by design» ins Leben. Sie entwickelten einen Werkstoff aus upgecycelten Textilien: Dieses Material namens «Solid Textile Board» ist eine hochwertige technische Platte aus alter Baumwolle und Wolle aus der Mode- und Textilindustrie. Die dünnen, aber äusserst stabilen Platten bieten für Designer eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten. Sieben internationale Designer waren eingeladen, Objekte aus diesem Material herzustellen. Ihre Entwürfe wurden auf dem Fuori Salone während der Möbelmesse Mailand gezeigt. Wir haben mit den drei Gründern der schwedischen Architektur und des Design-Trios Claesson Koivisto Rune gesprochen. Ausgangspunkt für ihren Entwurf «Bibliothèque», ein freistehendes Regal, waren Recherchen zum Raster in der Architektur sowie zur Typologie des Hochhauses.

 


Susanna Koeberle:
Wie war das Briefing von «Really»?

Ola Rune: Sie waren sehr offen, wir durften machen, was wir wollten. Die Idee war, das Material zu erkunden. Das Ziel ist, zu zeigen, dass dieses Material funktioniert.


SK:
Wie seid ihr an dieses Projekt herangegangen?

Eero Koivisto: Man sieht dem Entwurf an, dass wir Architekten sind. Wir haben das Material aus architektonischer Sicht interpretiert. Die Idee des Regals ist da ziemlich naheliegend. Dank der Feinheit der Platten kann man damit fast Linien in der dritten Dimension zeichnen. Wir waren von einem ganz konkreten Bau inspiriert, der «Bibliothèque Nationale» von Dominique Perrault. Schon bei einem Kunstprojekt, das wir letztes Jahr gemacht haben, war diese Bibliothek eine Referenz. Und hat sich nun zu einem Regal weiterentwickelt.


SK:
Was hat euch an diesem Gebäude besonders fasziniert?

Ola Rune: Die Proportionen des Fassadenrasters. Die Vertikalität des Rasters haben wir auf das Regal übertragen. Diese Form ist eher ungewöhnlich, aber auch praktisch. Es braucht so keine Buchstützen. Zudem kann man diese Abteile auch für Objekte benutzen, denn viele Leute haben gar keine Bücher mehr.


SK:
Was sind weitere besondere Merkmale dieses Regals?

Eero Koivisto: Es ist als freistehendes Regal und Raumtrenner gedacht, auf der Rückseite gibt es ebenfalls Abteile. Die Tiefe bringt Stabilität. Es gibt auch kleine Details wie die leicht eingerückten Seitenwände bei jedem zweiten Abteil.


SK:
Wie habt ihr die Farben eingesetzt?

Mårten Claesson: Es gibt momentan vier Farben für die Platten. In der Mitte sind aber alle weiss, deswegen haben wir als Hauptfarbe auch weiss gewählt und die Farbe nach hinten verlegt, dort sieht man den weissen Kern der Platten nicht.


SK:
Welchen Stellenwert hat dieser Entwurf innerhalb eurer Arbeit?

Eero Koivisto: Dieses Produkt ist nicht nur aus optischer und taktiler Sicht schön, sondern die ganze Idee dahinter ist es. Es hat eine positive Ausstrahlung, deswegen wollten wir auch Teil dieser Geschichte sein.


SK:
Was ist das Potential eines solchen neuen Materials?

Eero Koivisto: Es ist gross, aber man muss Hersteller zuerst davon überzeugen. Es braucht dafür auch neue Produktionsprozesse, das ist kompliziert. Wir wissen zudem noch nicht, wie das Material altert. Wir möchten mit unserem Entwurf dazu beitragen, dieses Produkt bekannt zu machen.


SK:
Betrachtet ihr Architektur und Design als getrennte Welten?

Ola Rune: Nein. Früher waren diese beiden Gebiete ja stärker miteinander verbunden und das wollten wir seit Beginn unserer Zusammenarbeit auch. In Skandinavien hat diese Kombination Tradition. Möbel waren die natürliche Erweiterung von Architektur.