ARIANA PRADAL • 19.04.2018

Reduce, Reuse, Recycle oder; Annäherungsversuch an Fragen ohne einfache Antworten

Einkaufen ist im 21. Jahrhundert zu etwas Komplexem geworden. Ob man ein Stuhl oder Bett mit gutem Gewissen kaufen kann oder nicht, ist oft schwierig einzuschätzen. Ein Erfahrungsbericht.

Es war ein Artikel vor 15 Jahren, der mein Weltbild ins Wanken brachte – Die Ökologie der Grösse. Bis dahin war es einfach für mich: Kaufe von deinem lokalen Kleinproduzenten und meide die globalen Grossunternehmen. Doch nach der Lektüre dieses Textes stand mein Weltbild Kopf. Der NZZ-Artikel nahm eine Studie auf, die dokumentierte, dass Lammfleisch aus Neuseeland weniger Energie brauche als dasjenige aus Deutschland, dass die Energiebilanz für brasilianischen Orangensaft besser ausfalle als für Apfelsaft europäischer oder regionaler Herkunft – und dies bei beiden Nahrungsmitteln trotz des langen Transportwegs. Was für Nahrungsmittel gilt, kann auch auf andere Güter übertragen werden – so meine Schlussfolgerung von damals.

Was aber hat der oben erwähnte Artikel mit Ikea zu tun? Nun ja, jedes Mal, wenn ich bei Ikea etwas kaufe oder online bestelle, plagt mich latent ein schlechtes Gewissen. Ich frage mich: Darf ich bei einem globalen Riesen einkaufen? Erst kürzlich habe ich mich das gefragt, als ich für unsere Tochter das Kura-Bett bestellt habe. Dieses besteht aus massivem Kiefer, kommt mit dem platzsparenden Flatpack ins Haus geliefert, muss selbst zusammengeschraubt werden, erlaubt zwei verschiedene Nutzungen, hat diverse hübsche Accessoires als Ergänzung und einen unschlagbaren Preis.

Um meinem Gewissen endlich eine Antwort geben zu können, habe ich mich auf den Weg nach Spreitenbach gemacht, wo Ikea Schweiz’ Nachhaltigkeitsverantwortlicher Lorenz Isler seinen Arbeitsplatz hat. Von ihm erfahre ich gleich ein paar Meilensteine: Das Flatpack hat Ikea bereits 1956 erfunden, 1991 entstand auf Druck von Greenpeace die erste globale Umweltstrategie des Unternehmens, seit 2012 engagiert sich das Unternehmen im grossen Stil für nachhaltige Belange und bis 2020 will der Schwede beispielsweise so viel erneuerbare Energie produzieren, wie er selbst benötigt. Dass noch viele Anstrengungen nötig sind, um Ikea noch nachhaltiger zu machen, weiss auch Lorenz Isler: «Ikea versucht, die ganze Lieferkette zu beeinflussen. Wir schauen bereits bei der Gewinnung der Rohstoffe genau hin und wir versuchen, auch Abfall, der bei der Herstellung entsteht, zu verwerten. Zum Beispiel nutzen wir den Holzstaub, der in den Produktionsstätten anfällt, für die Heizung.»

Bisher haben sich Unternehmen aber zu wenig der Frage gewidmet, was mit einem Produkt passiert, wenn die Besitzer es nicht mehr wollen. Auch der grosse Schwede denkt über neue Dienstleistungsmodelle nach, wie Rückkauf und Wiederverkauf, mieten anstatt kaufen, Möbel auffrischen oder Varianten von Tauschbörsen. Ziel dieser Überlegungen ist, die Produkte und die dafür verwendeten Rohstoffe so lange wie möglich im Einsatz zu halten.

Umdenken und umplanen
Nach dem Gespräch mit Ikeas Nachhaltigkeitsverantwortlicher frage ich andere Experten, ob ich mit gutem Gewissen bei Ikea einkaufen kann. Corina Gysslerbeantwortet bei WWF Fragen zu Konsum: «Der WWF führt mit Ikea seit Jahren eine Partnerschaft. Diese umfasst diverse Ziele: CO2-Reduktion, Energieeffizienz, Produktion erneuerbarer Energien, Holz aus nachhaltigen Quellen, Baumwolle aus nachhaltigen Quellen, Wassereffizienz, erneuerbare, recycelbare oder rezyklierteMaterialien. Deshalb kann man sagen: Wer bei Ikea einkauft, kauft bei einem Unternehmen, das sich für Umweltschutz engagiert.» Schwieriger sei, gibt Corina Gyssler zu bedenken, was – analog zur Textilbranche – für einen grossen Teil der Möbelbranche gelte: der Fast-Furniture-Trend. Hier brauche es ein Einsehen der Unternehmen, dass sie ihre Umweltbelastung reduzieren und die ökologischen Grenzen des Planeten respektieren. Das Wachstum der Branche muss von der Ressourcennutzung und den negativen Umweltauswirkungen entkoppelt werden.

Albin Kälin Geschäftsführer von EPEA Switzerland und Befürworter der Kreislaufwirtschaft meint auf meine Frage, ob ich mit gutem Gewissen bei Ikea einkaufen kann: «Damit wir Wachstum und Nachhaltigkeit miteinander verbinden können, muss die Industrie umdenken und transformieren. Designer und Hersteller müssen Produkte so konzipieren, dass diese die Kriterien für Materialgesundheit erfüllen und für die verwendeten Rohstoffe aufgezeichnet wird, was nach ihrer Nutzungsdauer passiert. Wie können die bereits eingesetzten Rohstoffe weiter verwendet werden, ohne dass ihre Qualität schlechter wird? Ist ein Produkt so konzipiert, dann können wir es mit gutem Gewissen kaufen und gebrauchen. Nur sind die meisten Produkte heute noch nicht so angedacht.» Auch seien viele Produkte, die auf den ersten Blick nachhaltig erscheinen, dies auf den zweiten Blick nicht. Denn wenn ein Holzmöbel aus zertifiziertem FSC-Holz mit einem Leim oder Lack behandelt wird, der nicht nachhaltig ist, dann gehe der Kreislauf nicht auf. Es brauche ganz allgemein mehr Transparenz und Information zu einem Produkt entlang der Wertschöpfungskette.

Viele Unternehmen und Behörden sind sich einig: Die Kreislaufwirtschaft kann einen Beitrag zur Lösung der ökologischen Probleme unseres Wirtschaftsmodells leisten. Aber sie hat noch einen weiten Weg vor sich, denn in vielen Branchen und Firmen muss zuerst ein Umdenken stattfinden und zudem Rücklaufkanäle und Redesign erst erschaffen werden.

Lokal oder global?
Auf meine zweite Frage, ob Produkte aus lokaler Herstellung besser seien, gibt es wie zu erwarten auch keine einfache Antwort. Yves Zenger von Greenpeace meint dazu: «Das kann man so pauschal nicht sagen. Es kommt sehr auf die Produktionsmethoden an. Lebensmittel zum Beispiel sind in der Regel am ökologischsten, wenn sie biologisch produziert wurden UND aus lokaler, saisonaler Produktion stammen. Bei Holzprodukten kommt es unter anderem sehr auf die Holzart, den Zustand des Waldes und die lokale politische Situation an. Die Interessen der indigenen Bevölkerung müssen zum Beispiel gewahrt und die Artenvielfalt geschützt werden.» Corina Gyssler von WWF ergänzt:

«Ein grosser Anteil des in der Schweiz konsumierten Holzes stammt heute aus dem europäischen Ausland. Wenn dank der Nachfrage nach umwelt- und sozialverträglichem FSC-Holz in der Schweiz die Waldbewirtschaftung im Ausland verbessert werden kann, so ist das positiv für den Natur- und Artenschutz in ökologisch bedeutungsvollen Wäldern. Nur wenn der Wald einen ökonomischen Wert hat, ist er vor Kahlschlag und der Umnutzung in Viehweiden und Äcker sicher.»

Nach dem Gespräch mit den vier Experten weiss ich zum Glück doch mehr. Wir dürfen als Käuferinnen von den Unternehmen in Zukunft mehr Transparenz, Informationen und Aufklärung erwarten. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass neben dem Preis noch weitere Angaben zu lesen sind, die mich über die verwendeten Rohstoffe, die Energiebilanz, die Herstellung und das Nachleben des Produkts informieren. Dann kann ich selbst entscheiden, ob die Angaben meinen Werten entsprechen oder nicht. Bis es so weit ist, helfen die verschiedenen Nachhaltigkeitslabel – auch wenn es da schwierig ist, die Übersicht zu behalten. Und was immer hilft: Nur kaufen, was man wirklich braucht. Diese Produkte lieb haben, damit man sie gut behandelt, auch einmal repariert, weiter vererbt und mit etwas Fantasie und Humor auch für etwas anderes einsetzt als ursprünglich gedacht.