Warum nachhaltige Ideen es schwer haben, sich durchzusetzen

Bianca Sellnow • 26.03.2018

Sie sind umweltfreundlich, effizient und auf lange Sicht kostensparend – dennoch können sich innovative Lösungen hierzulande nur langsam auf dem Markt etablieren. Wir fragen: Warum ist das so?

Spannende Ideen für nachhaltige Lösungen gibt es viele in der Schweiz, wie etwa die Dusche Joulia. Sie gewinnt bis zu 42 Prozent Wärme aus dem genutzten Duschwasser zurück und reduziert so den gesamten Energiebedarf bei der Warmwasseraufbereitung. 2015 gewann das Produkt auch den Design Preis Schweiz in der Kategorie Investitionsgüter.

Warum es trotz Auszeichnung und Kundenbedürfnis mehrere Jahre braucht, bis sich die innovative Dusche am Markt etablieren kann, erklärt sich Anja Borchart, Kommunikationsleiterin bei Joulia SA, mit der sehr konservativen Sanitärbranche und der Fülle an Ansprechpartnern: «Wir müssen Architekten, Sanitärplaner, Installateure, Händler und die Verbraucher überzeugen. Durch diese vielen Zielgruppen ergeben sich bereits einige Hürden.»

Außerdem wäre ein Bau mit enormen Kosten verbunden. Dadurch sind die meisten Bauherren wenig risikobereit und greifen eher auf etablierte Produkte zurück, auch wenn diese weniger nachhaltig sind.

Mit mindestens drei Jahren rechne man bei Joulia SA, bis sich eine Erfindung am Markt durchsetzen kann. Doch auf diesem Weg ist das Unternehmen nicht alleine, wie Borchart erklärt. «Es gibt viele Stellen, die ein Interesse daran haben, nachhaltige Produkte finanziell zu fördern. Wir haben beispielsweise Unterstützung vom Technologie-Fonds bekommen. Das hilft uns enorm, die Zeit bis zur Etablierung des Produkts zu überbrücken.» Auch würden Referenzen und die Teilnahme an Pilotprojekten namhafter Institutionen wie dem energieautarken Mehrfamilienhaus in Brütten weiterhelfen.

Ist Joulia damit nun die Regel – oder eher eine Ausnahme? Und was lässt sich ändern, um nachhaltige Innovationen besser zu fördern? Wir haben mit der Leiterin der Abteilung Ökonomie und Innovation des Bundesamtes für Umwelt (BAFU), Dr. Sibyl Anwander, gesprochen:

 

BIANCA SELLNOW: Frau Dr. Anwander, wie schwierig ist es, innovative Produkte erfolgreich am Markt zu etablieren?

FRAU DR. ANWANDER: Innovative Produkte haben es am Anfang grundsätzlich schwer sich durchzusetzen, weil sie gegen die Trägheit der Gewohnheiten ankämpfen müssen. Wir sind aber davon überzeugt, dass Innovationen einen wichtigen Beitrag zur Lösung der Umwelt- und Ressourcenprobleme leisten. Deshalb unterstützt der Bund über verschiedene Instrumente wie die Umwelttechnologieförderung des BAFU und das Programm für Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte des BFE die Entwicklung innovativer Lösungen bis zur Marktreife.

 

B.S.: Haben es nachhaltige Projekte in der Schweiz schwerer als im Ausland?

DR.A.: Ich glaube nicht, dass sich nachhaltige Erfindungen in der Schweiz langsamer durchsetzen als in anderen Ländern.

E-Bikes und Car-Sharing wurden in der Schweiz erfunden, und der hiesige Markt hat sehr gut darauf reagiert.

Wärmepumpen, Minergie und Bio-Landwirtschaft sind weitere Beispiele, wie der Markt in der Schweiz dynamisch reagiert.

 

B.S.: Das Beispiel der Dusche Joulia zeigt aber, dass es auch dauern kann, bis sich neue Produkte etablieren.

Dr.A.: Die Joulia-Dusche war in ihrer ersten Version, bei der man die ganze Duschwanne ersetzen musste, noch nicht flexibel einsetzbar. Die zweite Version ist in dieser Hinsicht viel besser und kann von verschiedenen Sanitärausrüstern in ihre Produktepalette integriert werden. Nun sind die Preise noch etwas hoch. Es braucht die Einsparung von 5-10 Jahren Duschen, um die Mehrkosten aufzufangen. Mit der zurzeit laufenden Marktexpansion sollen diese Preise aber gesenkt werden können. Dann wird auch der Durchbruch kommen.

Inzwischen hat sich eine zweite interessante Innovation aus der Schweiz ergeben: Die Dusche von Gjosa, einem Start-Up aus Biel, reduziert durch eine Neukonfiguration der Wassertropfen den Wasserverbrauch um den Faktor 5, und verspricht mit weniger Wasser das gleiche Duscherlebnis. Nun sollten vielleicht beide Innovationen miteinander kombiniert werden.

B.S.: Bestehen hierzulande Hemmungen in innovative Lösungen zu investieren?

Dr.A.: Die klassische Antwort ist die Frage nach dem Preis. Es braucht eine gewisse Absatzmenge, bis die Produktion rationell gestaltet werden kann, und die Preise runterkommen. Manchmal ist der Schweizer Markt einfach etwas zu klein, um diese grosse Menge herzugeben. Das Beispiel von Solarpanels zeigt: Es hat den Einstieg der grossen Länder weltweit gebraucht, um die Preise nach unten zu bringen. Solarenergie wird sich langfristig weltweit über den Preis durchsetzen, weil sie schlussendlich günstiger als alles andere ist.

Der andere Grund ist die Information – woher wissen Kunden, aber auch Unternehmen, welche technologischen Entwicklungen neu auf dem Markt sind, welche sich bewähren werden und welche tatsächlich einen ökologischen Mehrwert bringen? Deshalb fördert der Bund die Kommunikation und Exportförderung im Bereich Cleantech und prüft zurzeit die Einführung von ETV, der Environmental Technology Verification, einer Zertifizierung für besonders umweltschonende Technologien und Produkte.

 

B.S.: Die Schweiz verfolgt eine ehrgeizige Energiestrategie. Dafür müssen wir aber auch insgesamt deutlich energieeffizienter werden. Sollten nachhaltige Innovationen dadurch nicht eine viel bessere Chance erhalten, sich schnell am Markt zu etablieren? Und warum schaffen sie es vielleicht trotzdem nicht?

Dr.A.: Sie schaffen es. Man muss ihnen nur ein wenig Zeit geben. Der Leidensdruck ist noch nicht überall gross genug. Man kann vielerorts auch mit alten Technologien noch sehr gut Geld verdienen, zum Beispiel Strom aus Kohle, Mobilität mit Benzin oder Diesel und so weiter. Aber plötzlich wird man überholt, und dann ist es für jede Reaktion zu spät. Es geht um die Antizipation von Entwicklungen, die historisch gesehen sowieso kommen und nicht mehr aufgehalten werden können, wie etwa die Elektrifizierung der Mobilität oder die Dezentralisierung und smarte Steuerung der Energieerzeugung und Speicherung.

 

B.S.: In der Schweiz haben wir einen relativ hohen Anteil an Start-ups und Innovatoren wie etwa an der ETH Zürich. Was müsste sich ändern, damit diese es leichter haben, ihre Ideen auf den Markt zu bringen und zu etablieren?

Dr.A.: Der Bund hat vor vier Jahren ein neues Instrument für Cleantech-Firmen geschaffen, den Technologiefonds, der Bürgschaften für bei Banken aufgenommene Kredite übernimmt. Vor allem Start-ups nutzen dieses Angebot. Es ergänzt die Tätigkeit der Venture-Capital-Szene, die in der Schweiz noch in den Kinderschuhen steckt. Aber es ist vieles in Bewegung, und die Situation entwickelt sich zunehmend positiv.

Relativ zu anderen Ländern entstehen in der Schweiz viele Start-ups, die auch längerfristig überleben, das wird in den internationalen Vergleichen wie dem Competitiveness-Index immer wieder bestätigt. Wie die Studie von Cleantech Alps «Überblick über die Cleantech-Start-ups» zeigt, ist die Szene in der Schweiz sehr lebendig und entwickelt sich rasant. Dort werden übrigens auch die zwei erwähnten Innovationen im Bereich Duschen, Joulia und Gjosa, präsentiert.

Wie schwierig es für eine Innovation ist, sich durchzusetzen, hängt damit stark vom Produkt selbst ab, aber auch vom Markt, den Referenzen und den Möglichkeiten, an Pilotprojekten teilzunehmen. Doch je näher die Energiewende kommt und je mehr sich Institutionen in der Schweiz für die Erfinder einsetzen, desto einfacher werden es nachhaltige Ideen künftig haben, noch schneller erfolgreich zu sein.

Fotografie: Design Preis Schweiz