Würmer für die Wohnung

Giulia Bernardi  • 03.05.2018

Pro Jahr landen schweizweit über 500‘000 Tonnen biogene Abfälle im Kehricht. Rund ein Drittel davon liesse sich mit wenig Aufwand kompostieren. So die Vision von WormUp: Das Zürcher Start-up hat ein Kompostsystem für die eigenen vier Wände entwickelt, bei dem Würmer den anfallenden Bioabfall zersetzen.

Inspiriert wurden die Gründer Dennis Froesch und Nikolai Räber durch den Dokumentarfilm «No Impact Man» (2009), den sie 2013 im Rahmen einer Projektwoche an der HSG schauten. Darin versucht der New Yorker Colin Beavan ein Jahr lang keinen Abfall zu generieren oder Energie zu verbrauchen. So verzichtet er auf Auto, Fahrstuhl und Cola aus der Dose – und kompostiert seinen Bioabfall mithilfe von Würmern.

Nikolai und Dennis waren sich einig: Ganz so wie Beavan zu leben dürfte sich schwierig gestalten, aber seinen eigenen Bioabfall zu kompostieren statt in den Kehricht zu werfen, das sollte in jedem Haushalt möglich sein. Dies war die Geburtsstunde von WormUp. Gemeinsam mit Industriedesigner Luiz Schumacher und Umweltingenieur Erich Fässler – der den Wurmkomposter schon auf seinem Balkon getestet hatte –, entwarf das Team das Produkt ‹WormUp HOME›. Ein rundes Recyclingsystem aus gebranntem Ton, das aus drei Etagen, einem Bodenelement und einem Deckel besteht. Dank seines platzsparenden Formats (Höhe: 35 cm, Durchmesser: 40 cm) eignet es sich besonders für urbane Wohnungen.

Und so funktioniert’s: ‹WormUp HOME› wird jeweils von unten nach oben befüllt. Neu in Betrieb genommen, werden 500 Gramm Würmer – das sind rund 1‘000 Exemplare – und 2 Kilogramm mit Mikroorganismen angereichertes Substrat im Bodenelement platziert. Darauf wird der Bioabfall deponiert. Mikroorganismen zersetzten den Abfall, die Würmer saugen ihn auf und verarbeiten ihn zu nährstoffreicher Erde. Sobald der Müll vollständig abgebaut wurde, kann ein Gitter eingeschoben und mit neuem Rüstabfall versehen werden. Dank des Gitters können sich die Würmer zwischen den Etagen hinauf und hinunter bewegen. Alle zwei bis vier Monate kann der Kompost geerntet werden. Das geleerte Element wird wieder oben aufgesetzt und der Prozess beginnt von vorne.

Aufbau der WormUp-Tongefässe. Die einzelnen Elemente lassen sich leicht stapeln und austauschen.

In den Wurmkomposter können Rüstabfälle, aber auch Kaffeesatz oder Eierschalen gegeben werden. Zudem können 30 bis 50 Prozent Faserstoffe wie Toilettenpapierrollen, Verpackungen aus Karton oder verholzte Blumenstängel hinzugefügt werden. So wird das Verhältnis zwischen Kohlen- und Stickstoff geregelt. «Während beispielsweise frischer Rüstabfall viel Stickstoff enthält, ist holziges Material reich an Kohlenstoff», sagt Umweltingenieur Erich Fässler. «Damit die Würmer stickstoffhaltiges Material abbauen können, benötigen sie Kohlenstoff. Das ist grundsätzlich wie beim Menschen: Wir brauchen Ballaststoffe, um die aufgenommene Nahrung zu verdauen.»

Pro Tag bauen die Würmer rund die Hälfte ihres Körpergewichts ab: Das sind etwa 0,25 Gramm. Pro Woche können mit dem ‹WormUp HOME› zwischen 0,6 und 1,3 Kilogramm zersetzt werden. Die Menge ist jeweils von den Bedingungen im Komposter abhängig: Je nachdem, welche Art Abfall hinzugefügt wird, ist die Umgebung mal saurer, mal basischer. «Früchte haben einen eher sauren pH-Wert», meint Erich. «Dies kann zum Beispiel durch die Zugabe von basischen Eierschalen ausgeglichen werden. Optimal für die Würmer ist eine pH-neutrale Umgebung.» Der Mensch kann zwar etwas nachhelfen, grundsätzlich ist der Komposter aber ein selbstversorgendes und -regulierendes Ökosystem: Wird die Population zu gross, pflanzen sich die Würmer nicht mehr fort.

«Weltweit landen rund 95 Prozent aller Abfälle auf Mülldeponien. Die organischen Stoffe produzieren bei ihrer Zersetzung Methan. Dieses ist 25-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid und macht rund 3 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase aus»

Erich Fässler

Das Augenmerk der Jungunternehmer galt aber nicht nur den biologischen und chemischen Zersetzungsprozessen, sondern auch dem Design von ‹WormUp HOME›. Schliesslich wollten sie ein Produkt schaffen, das nicht zu teuer in der Herstellung ist, einfach in der Handhabung und den ästhetischen Ansprüchen ihrer urbanen Zielgruppe entspricht. Luiz Schumacher, der Industrial Design an der ZHdK studierte, hat deshalb mehrere Prototypen entworfen. Der erste bestand aus drei stapelbaren Behältern aus Plastik. Nach ersten Versuchen hat sich herausgestellt, dass das Material zu wenig Sauerstoff zirkulieren lässt und sich somit – aus funktionaler wie auch aus ästhetischer Sicht – nicht eignet. Auch Holz schnitt bei den Versuchen eher schlecht ab, da es sich bei hoher Feuchtigkeit schnell verziehen kann. Schliesslich versuchte Luiz es mit Ton: Das Material ist zwar etwas schwerer als Holz oder Plastik, doch einmal gebrannt, behält es seine Form bei. «Bei der Produktion galt es immer wieder, Kompromisse einzugehen und die Bedingungen unserer Hersteller zu berücksichtigen», erzählt Luiz. So entschied sich das Start-up beispielsweise für eine runde, statt für eine eckige Form: «Ton zieht sich beim Trocknen zusammen. Diese Veränderung ist bei runden Formen einfacher zu handhaben.»

Die vier Jungunternehmer v.l.n.r.: Erich Fässler, Sarah Steiner, Nikolai Räber, Luiz Schumacher

543‘000 Tonnen biogene Abfälle landen in der Schweiz pro Jahr im Kehricht. In Lastwagen gefüllt, entspricht dies einer Kolonne von Basel bis nach Chiasso. «Ein Drittel davon wäre durch einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln vermeidbar», meint Erich. «Ein weiteres Drittel würde sich problemlos kompostieren lassen.» Entsprechend könnten auch Transportwege für die Entsorgung und die dafür aufgewendete Energie eingespart werden.

Biogene Abfälle sind auch auf globaler Ebene ein Problem. «Weltweit landen rund 95 Prozent aller Abfälle auf Mülldeponien. Die organischen Stoffe produzieren bei ihrer Zersetzung Methan. Dieses ist 25-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid und macht rund 3 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase aus», beschreibt Erich. Ähnlich argumentiert auch die Initiative «4 per 1000», die 2015 während der UN-Klimakonferenz in Paris lanciert wurde. Dieses Problem könnte gelöst werden, indem jährlich 0,4 Prozent der biogenen Abfälle kompostiert würden. Ausserdem ist die Lebenszeit von Methan um etwa zehn Jahre kürzer als die von Kohlendioxid: Eine gute Gelegenheit, den Klimawandel schnell abzubremsen.

Ein weiterer Vorteil der Kompostierung: Der daraus entstehende Dünger ist weitaus umweltfreundlicher als industriell hergestellte Alternativen. «Kunstdünger wird sehr energieaufwändig produziert. Dieser wird zwar schneller von den Pflanzen aufgenommen, macht sie aber anfälliger gegenüber Schädlingen», sagt Erich. «Das ist natürlich praktisch für die Unternehmen, die neben dem Dünger auch Pestizide verkaufen möchten.»

Die Verwendung von organischem Dünger erzielt wirtschaftlich gesehen vielleicht nicht so schnell Resultate wie Kunstdünger, ist jedoch die nachhaltigere Variante. Durch die Kompostierung wird der Kohlenstoff im Humus stabilisiert und für lange Zeit im Boden gespeichert. Auf diese Weise können auch ausgelaugte, humusarme Böden wiederbelebt werden. Zudem reguliert Humus den Wasserhaushalt, wodurch der Boden – und die damit verbundene Nahrungsmittelproduktion – Klimaschwankungen besser ausgleichen kann.

Ob man sich einen Wurmkomposter nun zulegt oder nicht: Gedanken zum Thema lohnen sich allemal. Denn letztendlich beginnt jede Veränderung im Kleinen. Vielleicht gerade in den eigenen vier Wänden.

Fotografie: WormUp