Textile Connection

Patricia Lunghi • 22.05.2018

Seit einigen Jahren stellen immer mehr junge Designer Textilien unter ihrem eigenen Label her. So entstehen ganze Kollektionen von Heimtextilien, Bettwäsche, Foulards oder Schals und Teppichen. Ist dies eine vorübergehende Erscheinung oder die Rückkehr der grossen Schweizer Textiltradition? Feldstudie und Erklärungsversuch.

Die Schweiz, ein kleines Land mit langer Textiltradition, war seit dem 13. Jahrhundert die Heimat einer florierenden Textilindustrie. Besonders St. Gallen führte bis ins 20. Jahrhundert hinein intensiven Handel mit Textilien. Die Stickerei- und Spitzenproduktion war um 1910 der grösste Exportzweig der Schweizer Wirtschaft, und St. Gallen bediente über 50 % der Weltnachfrage mit diesen Luxusgütern.

Heute sind viele Unternehmen der Branche verschwunden, aber es gibt immer noch einige, die auf Innovation und das Luxussegment gesetzt haben, auch wenn für Tina Moor, der Leiterin der Studienrichtung Textildesign der Hochschule Luzern – Design und Kunst (HSLU), „mit dem Verschwinden der Textilindustrie viel von diesem Know-how verloren gegangen ist.“ Das Textilmuseum St. Gallen bewahrt die Erinnerung und den Reichtum dieses Erbes durch einzigartige Sammlungen, die auch durch die Vermächtnisse von Textilsammlern und -herstellern erweitert wurden. Aktuell präsentiert das Museum eine Ausstellung zu Textilkreationen von 1970 bis 1990 mit Werken von Verner Panton, Alfred Hablützel und Trix & Robert Haussmann. Diese Kollektionen, die für die Schweizer Firma MIRA-X entworfen wurden, sorgten in vielen Ländern für Furore und beeinflussten die Innenraumgestaltung dieser Zeit.

Nach der Hochstimmung dieser guten Zeiten hat sich die Situation grundlegend geändert, aber offenbar haben in den letzten Jahren immer mehr junge Designer mit der Herstellung von Textilien begonnen. Kann man schon von der Rückkehr der grossen Schweizer Textiltradition sprechen? Elisabeth Fisher, Leiterin des Departments für Design Mode, Schmuck und Accessoires der Haute école d’art et de design, HEAD – Genf, glaubt nicht, „dass dies der Fall ist, da nur bestimmte Häuser für Inneneinrichtung, Mode oder technische Textilien fortbestehen konnten. Bei den jungen Designern handelt es sich nur um kleine Produktionen.“ Auch wenn man noch nicht von einer bedeutsamen wirtschaftlichen Realität sprechen kann, so sind Kreativität und Dynamik sehr wohl vorhanden. Viele junge Designer bringen ihre eigenen Labels mit T-Shirts, Heimtextilien, Decken und Foulards oder Schals auf den Markt. Beidseits der Saane finden sich zahlreiche Beispiele; das Phänomen gibt es in der Ostschweiz tatsächlich ebenso wie in der Westschweiz. Die schönen Duschvorhänge, Foulards oder Schals und Teppiche von Kollektiv Vier, die prächtigen Duvets, Foulards und Wandteppiche von Lora Sommer, die schimmernden Drucke für Wandteppiche und Tapeten von Annina Arter, die Bettwäsche mit zarten Drucken von Estelle Gassmann, die handgearbeiteten Teppiche aus Naturwolle von Ait Selma, die luxuriösen Dusch- und Badetücher von Frottee di mare, die grafischen Kompositionen der Teppiche von Schönstaub. Nicht zu vergessen sind auch Dada Désir, Latitude 66 und DS Scarves, um nur einige Beispiele aus der Westschweiz zu nennen.

Eine scheinbare Einfachheit
Für Valentine Ebner, Professorin im Department Design Mode, Schmuck und Accessoires der HEAD – Genf, erklären mehrere Hypothesen dieses Phänomen. Für sie ist Textildesign „einfacher als Mode, weil es hier das Problem mit den Grössen nicht gibt.“ Ausserdem gibt es in einer Bekleidungskollektion unterschiedliche Teile und somit mehr Anbieter, was viel teurer ist, während diese Textilangebote weniger komplex und günstiger zu produzieren sind. Und schliesslich sind die Heimtextilien, Bettwäsche, Foulards oder Schals ja bereits vorhanden, und es muss nur der Druck angefertigt werden.

Diese konkreten Aspekte der Herstellung sind höchstwahrscheinlich wichtig, und Textilien sind zudem weniger saisonabhängig als die Mode. Eine Kollektion von Heimtextilien, Bettwäsche und Teppichen ist weniger abhängig von Modetrends als Bekleidung.

Valentine Ebner nennt ein weiteres wichtiges Argument:

«Neue digitale Technologien ermöglichen es heute, kleine Stückzahlen zu drucken. Man kann Produkte in limitierten Serien herstellen, die exklusiver sind, und sie sogar individualisieren, das ist ein wachsender Markt.»

Als Leiterin der Studienrichtung Textildesign der Hochschule Luzern – Design und Kunst (HSLU) hat Tina Moor mehrere talentierte Designerinnen und Designer gesehen, aber Vorsicht, „sie müssen sich dessen bewusst sein, dass es bei der Erschaffung ihres Labels nicht nur um das Design geht, sondern vor allem auch um das Geschäft.“ Ich rate meinen Studenten immer, ihr Textildesign-Studium mit einem Master-Abschluss mit Schwerpunkt auf den kaufmännischen Aspekten abzuschliessen oder Erfahrungen in verschiedenen Bereichen zu sammeln, bevor sie sich selbständig machen.“

Eine scheinbare Einfachheit auch in Bezug auf den Vertrieb. Viele Geschäfte schliessen wieder, und es wird immer schwieriger, Wiederverkäufer zu finden, vor allem für neue Labels. So ist der Online-Handel unerlässlich geworden, und es scheint einfacher zu sein, Heimtextilien, Foulards, Schals oder Bettwäsche im Internet zu verkaufen als Bekleidung. Aber auch hier, fährt Tina Moor fort, „ist das Geschäft nicht so einfach, weil die Arbeit des Designers mit der der Buchhaltung, des Einkaufs, des Vertriebs, des Kundendienstes usw. vereinbart werden muss.“

Die Schweizer Tradition des Grafikdesigns
Für Tina Moor vereinen Textilien verschiedene menschliche Aspekte: Tradition, Innovation, Farbe, Material sowie das Digitale und das Analoge. „Die Textilien sind nicht nur visuell, sie sind auch taktil, man ist im Kontakt mit den Stoffen. Ohne die Realisierung ist die Textilie keine Textilie.“ Auf der digitalen Seite benötigt man gestalterische Fähigkeiten, um ein Design auf Stoff zu entwickeln, und vielleicht muss man dort nach einer Antwort auf diese kreative Begeisterung suchen. Die Schweiz hat in der Tat eine lange und reiche grafische Tradition. Eine der Gemeinsamkeiten dieser jungen Labels ist die Kreativität, die sich in allen Motiven, Drucken, Ornamenten, Zeichnungen, Illustrationen, Formen und Bildern ausdrückt, die alle dem Grafikdesign sehr ähneln. Und textile Accessoires sind ein starkes Kommunikationsmittel, sie vermitteln den Esprit, die Botschaft des Designers.

Übertragbarkeit
Tina Moor ist optimistisch, denn „der Textilbereich hat den Vorteil, dass er sehr breit gefächert ist: Mode, Kostüme und Theateraccessoires, Inneneinrichtung, Verkleidungen, Transport (Bahn, Bus, Luftfahrt), Architektur – ein Textildesigner kann sich in vielen Bereichen einbringen.“ Dies ist auch ein Bereich an der Grenze zwischen Produktdesign, Design und Textilien, weshalb viele Grafiker Kollektionen mit T-Shirts und Foulards oder Schals auf den Markt bringen. „Da das Textil ein Halbprodukt ist, ist es wichtig, mit einem fachübergreifenden Team zu arbeiten“, so Tina Moor weiter, „im 3. Studienjahr an der HSLU arbeiten wir im Team mit anderen Bereichen zusammen (Produktdesign, Schmuck, Raumgestaltung), weil ich fest davon überzeugt bin, dass kein Textildesigner jemals alleine arbeiten wird: Er muss mit vielen Menschen über die ganze Produktionskette hinweg zusammenarbeiten.“

Auch wenn der Schweizer Markt nicht sehr gross ist, gibt es für Johanna Widmer von Kollektiv Vier letztlich immer „Menschen, die sich schöne Dinge leisten können. Aber ich glaube nicht, dass es eine Rückkehr zur Schweizer Textiltradition gibt, denn die Schweiz ist im Vergleich zu anderen Ländern sehr teuer. Bei uns können wir Ideen erschaffen und entwickeln, aber die Schweiz wird kein Produktionsland mehr werden.“