Big Data @ Home

Andrea Wiegelmann • 23.04.2019

Im Herbst vergangenen Jahres hat der Online-Händler Amazon das neue Echo Line-Up lanciert. Die neu gestalteten Produkte der zweiten und dritten Generation sind in unterschiedlichen Farben erhältlich, stoffbezogen und passen perfekt in das häusliche Wohnumfeld. Fast könnte man vergessen, dass es sich bei den Produkten der Serie, die im Alltag unter Alexa bekannt sind, um sprachgesteuerte, internetbasierte Geräte handelt, deren Leistungsspektrum inzwischen soweit ausgebaut ist, dass sie unseren ganzen Haushalt verwalten können. Dazu sammeln sie Daten, auch solche, die wir vielleicht nicht preisgeben wollen.

Die Verlockung scheint gross und der Nutzen der Geräte spricht für sich: Beim Frühstück stelle ich fest, dass der Kaffee ausgeht und bestelle über Alexa neuen. Ich lasse meinen Terminkalender prüfen und gleichzeitig Musik abspielen und beim Verlassen der Wohnung sorgt Alexa dafür, dass das Licht ausgeschaltet wird.

Bei dem kleinen, unauffälligen Helfer handelt es sich um einen mit dem Internet verbundenen Lautsprecher. Die in das Gerät eingebaute Software, die aufgrund von Spracherkennung und -analyse die gesprochenen Befehle und Fragen interpretiert, verarbeitet und uns dank Sprachsynthese, dem künstlichen Erzeugen der menschlichen Stimme, darauf antwortet, wird als intelligenter persönlicher Assistent bezeichnet.

Der digitale Assistent

Inzwischen gibt es eine Reihe von Anbietern, die uns mit persönlichen Assistenten versorgen. Neben Alexa zählen der Google Assistant (er ist auf dem Schweizer Markt (noch) nicht erhältlich) und Siri, die Software von Apple, zu den bekanntesten Diensten.

Nach Berechnungen von strategyanalytics.com wurden alleine im dritten Quartal 2017 7,4 Millionen intelligente Lautsprecher verkauft. Neben den grundlegenden Tools wie Zugriff auf das Internet, das Abfragen von Informationen darüber, das Abrufen von Musik oder das Verwalten des Kalenders, gibt es inzwischen unzählige Erweiterungen. Sie erlauben das Steuern von Smart-Home-Geräten wie Licht, Kühlschrank oder Türschloss, die Kommunikation mit der Bank, das Ab- und Aufschliessen des Autos, des Fernsehers oder des Receivers. Die Liste lässt sich fortsetzen. Amazon unterstützt Hersteller bei der Entwicklung von Schnittstellen zu Alexa. Damit können intelligente Assistenten wahrscheinlich schon bald die Steuerung des gesamten Haushaltes übernehmen. Ihr Erfolg scheint dabei nur auf den ersten Blick verblüffend.

Während man lange an den Einzug von Haushaltsrobotern glaubte, ist dieser Trend bisher nicht ausgebrochen. Dass es Alexa und ihren Kollegen gelungen ist, unser Zuhause zu erobern (und nicht Robotern oder gar dem Menschen ähnlichen Androiden), hat der amerikanische Kommunikationswissenschaftler und Informatiker Mark Weiser in seinem Aufsatz «The Computer for the 21st Century» bereits 1991 vorhergesehen. Weiser schreibt darin, dass die «… wichtigsten Technologien diejenigen sind, die verschwinden. Sie verweben sich mit unserem Alltag und wir können sie nicht mehr von uns trennen, wir nehmen sie gar nicht mehr wahr».

Weiser beschreibt damit nichts anderes, als den Prozess, den wir in der Entwicklung der Digitalisierung im Haushalt erleben und der auch in anderen Bereichen unseres Lebens um sich greift. Dass sich Trends wie «Hygge» im Wohnbereich durchsetzen bei einer gleichzeitig steigenden Vernetzung von Geräten und Objekten, erklärt uns der Science-Fiction-Autor Bruce Sterling. In seiner offensichtlich technisch-digitalen Präsenz wirke ein Roboter auf uns wie das, was er sei: nämlich ein digital gesteuerter Helfer. Er konfrontiere uns somit immer mit der Frage, wollen wir von digitalen Geräten umgeben sein, die Informationen über uns sammeln und nutzen? Roboter und Androide wirken auch daher unheimlich und wir begegnen ihnen mit einer gewissen Skepsis.

Ein kleines, stoffbezogenes Objekt im Wohnzimmer dagegen wirkt zunächst harmlos. Doch auch unsere intelligenten Assistenten sammeln Daten und damit Informationen und geben diese weiter. Das sollte uns bewusst sein.

© Mark Weiser, The Computer for the 21st Century, 1991

Daten sind das Kapital des 21. Jahrhunderts

Um unsere Sprachbefehle ausführen zu können, verarbeiten Alexa & Co. unsere Anweisungen zunächst geräteintern und geben sie dann an den Hersteller weiter. Auf dessen Servern werden die Befehle umgesetzt und dauerhaft gespeichert. Damit wir immer auf ihre Funktionen Zugriff haben, sind unsere intelligenten Assistenten in der Regel immer eingeschaltet, d.h. sie hören mit, auch wenn sie durch uns erst über Schlüsselworte aktiv werden.

Wir lagern unsere Privatsphäre damit aus. Und dieser Prozess kann sich durch neue Tools und auf Sprachsteuerung basierenden Haushaltsgeräten noch steigern. Denn die Anbieter, die Schnittstellen zu Alexa & Co. programmieren, haben ebenfalls Zugriff auf unsere Daten und der Umfang der Informationen, die über uns verwaltet werden, wächst mit den Möglichkeiten.

Amazon selbst sieht die «… Einsatzmöglichkeiten für sprachbasierte Anwendungen … ebenso vielfältig wie die Sprache selbst. Als limitierende Faktoren galten lange Zeit mangelnde Rechen- und Speicherkapazitäten. Durch die Cloud sind wir mittlerweile in der Lage, hochkomplexe Prozesse in sehr kurzer Zeit durchzuführen.» (Anfrage der Autorin im April 2019 an die Pressestelle von Amazon).

Wenn Oliver Zöllner vom Institut für Digitale Ethik an der Hochschule der Medien Stuttgart davon spricht, dass wir «zunehmend in einer Kontrollgesellschaft» leben, spiegelt es die Dimensionen, die die Weitergabe privater Datensätze erreicht hat, wider.

Zöllner verweist darauf, dass die Datensätze, die auf den Servern der Anbieter von Alexa & Co. gespeichert werden, das eigentliche Kerngeschäft der Unternehmen bedienen. Zöllner schreibt treffend von «Datenkonzernen». Die Auswertung der über uns gespeicherten Informationen schafft die Basis dafür, unser Verhalten vorherzusehen und in letzter Konsequenz auch zu kontrollieren. Wenn ich zukünftig Kaffee bestelle, weil er ausgegangen ist, fragt mich Alexa dann vielleicht, ob sie auch Biovollmilch bestellen soll, weil ich Kaffee immer mit Biovollmilch trinke. Oder aber sie kennt die Messungen meiner Waage im Badezimmer und versagt mir die Milch und das Gipfeli dazu – oder empfiehlt auf grünen Tee und Knäckebrot umzustellen.

Noch ist es nicht möglich, dass meine Daten von Krankenkassen oder Versicherern ausgewertet werden, rechtlich – technisch ginge das längst. Dabei werden die Systeme immer ausgetüftelter. In seinem Beitrag «Die Stimme verrät uns dem Roboter» für die Neue Zürcher Zeitung vom 10. April 2019 schreibt Adrian Lobe, dass Amazon ein Patent angemeldet hat auf eine Technologie, die anhand der Stimme die physische Verfassung des Sprechenden erkennen soll, also ob jemand krank oder nervös ist oder zu viel Gewicht auf die Waage bringt. Die Maschine durchschaut uns und kann uns in der Folge auch manipulieren. Wie frei bin ich in meiner Entscheidung, Biovollmilch und Croissants zu kaufen, wenn ich weiss, dass dies Bonuspunkte bei meiner Krankenkasse kostet, weil eben die Waage nicht das anzeigt, was sie sollte?

Und die Folgen?

Angesichts der Tatsache, das voraussichtlich in 2020 die Hälfte aller Suchanfragen über Sprachsteuerungen erfolgen und wir uns wahrscheinlich eher früher als später in Wohnungen wiederfinden, die nur noch über diese gesteuert werden können, sollten wir uns fragen, wie wir unsere Daten verwaltet haben möchten. Auch wenn Anbieter wie Amazon, Google oder Facebook betonen, dass ihnen die Datensicherheit ihrer Kunden sehr wichtig ist, akzeptieren wir mit unserer Zustimmung zu den jeweiligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen deren Nutzung.

Wie wenig gesichert diese zum Teil sind, zeigen jüngste Pannen bei Facebook oder App-Entwicklern. Daten sind das Kapital des 21. Jahrhunderts, wir sollten im Umgang mit ihnen bewusster und kritischer werden.

In seinem Roman Tagebuch eines Meisterkochs beschreibt der russische Schriftsteller Vladimir Sorokin Manaraga eine nahe Zukunft, in der den Menschen ihre persönliche Alexa eingepflanzt ist. Der Protagonist der Geschichte, der Chefkoch Geza, bezeichnet das Gerät als seinen Floh. Dieser organisiert seinen Terminplan, übernimmt Buchungen, hilft Geza bei Wissenslücken weiter und reagiert auf die Stimmungslagen seines Menschen, indem er ihn aufheitert, beruhigt, schlafen lässt, also auch ein gutes Stück weit in seine Persönlichkeit eingreift. Geza kann seinen Floh nur durch eine Operation entfernen. Noch können wir unsere intelligenten persönlichen Assistenten ausschalten.

Fotografie: Jan Antonin Kolar, Pixabay